Kapitel 41 - Das schwarze Schaf


 Dienstag, 19. Mai 2015

 

Erschöpft streckte sich Rin, als soeben die Schulklingel ertönte. Endlich hatte sie das Nachsitzen hinter sich gebracht. Dieses ganze Rumsitzen und Lernen verausgabte sie mehr als ihr geliebter Sport. Umso schlimmer, dass sie den Rest der Woche nicht am Lacrosse teilnehmen konnte. Die Woche zuvor fiel es wegen der Prüfungen schon aus. Aber das war nun erstmal zweitrangig, denn erstens musste sie dringend ihrer Arbeit nachgehen und zweitens hieß das auch, dass sie endlich mit Kuro unter vier Augen sprechen konnte. Zuvor hatte sie einfach keine Möglichkeit mehr mit ihm über die Krawatte oder aber auch über den Grund zu sprechen, weswegen sie nicht von der Schule geflogen war.

Entweder es gab eine Sonderregel, oder aber der Ältere bezahlte ihr nun die Studiengebühren. Die Blauhaarige befürchtete, dass es zweiteres war und wollte das unbedingt klarstellen. Niemals würde sie sich etwas von diesem Großkotz bezahlen lassen.

Während das Mädchen weiter darüber nachgrübelte, war sie auch schon vor dem Direktorat angekommen und hineingetreten. Dort saß bereits besagter junger Mann vertieft in seine Arbeit und bemerkte gar nicht, dass er Besuch bekommen hatte. Erst als Rin ihm die Krawatte auf den Tisch legte, sah er perplex zu ihr auf.

„Was soll das?“, verstand der Schwarzhaarige nicht recht. „Das ist deine und ich gebe sie dir hiermit zurück“, erklärte sich seine Mitschülerin. Kuro hingegen schien damit nicht einverstanden: „Zuerst nimmst du sie ohne zu fragen und dann gibst du sie wieder zurück?! Jetzt kannst du sie auch behalten.“ „Ich möchte sie aber nicht mehr“, keifte die Blauhaarige zurück. „Hast du neuerdings doch eine eigene? Oder eine neue Schleife?“, murrte er sie an. Mit verschränkten Armen erwiderte sie: „Nein habe ich nicht und ich werde auch keine Schleife mehr tragen. Die steht mir überhaupt nicht!“ „Dann zieh endlich die blöde Krawatte wieder an!“, schmiss er ihr besagtes Kleidungsstück gegen den Kopf.

Während Rin noch mit Auffangen beschäftigt war, hatte der Suzuki-Erbe ihr schon ein paar zusammengeheftete Zettel rübergeschoben mit den zu erledigenden Aufgaben für die ganze Woche.

„Teil dir deine Arbeit zukünftig selbst ein. Es gibt Deadlines, die ich dir markiert habe. Sollte kurzfristig noch etwas dazukommen, werde ich es dir sagen“, erklärte er kurz und das Mädchen nahm direkt das Schriftstück entgegen. Neugierig blätterte sie die Seiten durch, ehe sie vom Glauben abfiel: „Das soll ich alles in nur einer Woche erledigen? Sicher, dass das nicht für einen ganzen Monat ist?!“ „Ich würde vorschlagen, dass du am besten direkt loslegst und keine Zeit mehr verlierst“, zuckte der Ältere mit den Schulten. „Bevor ich damit anfange musst du mir noch eine wichtige Frage beantworten“, forderte das Mädchen, „Wie kann es sein, dass ich noch immer hier an dieser Schule sein darf?“ „Es ist wie es ist“, schnaubte Kuro und widmete sich wieder seiner Arbeit.

Er hoffte das Thema somit zu beenden, allerdings gab sich sein Gegenüber damit nicht zufrieden: „Ich weiß ganz genau, dass ich mein Stipendium verloren habe. Es gibt ganz sicher keine Sonderregel oder so. Also, wirst du mir nun sagen wie es sein kann, dass ich noch immer hier bin?“

Wieder stieß der junge Mann Luft nach außen und sah zu Rin. Man konnte ihm deutlich ansehen, dass er keine Lust hatte über dieses Thema zu sprechen.

„Nein“, gab er sich keine Mühe mit der Antwort, wohlwissend, dass dies die Jüngere nicht zufriedenstellte. „Verkauf mich doch nicht für blöd!“, wurde seine Assistentin lauter, „Um hier sein zu können muss gezahlt werden und da ich es nicht tue, bleiben nicht mehr so viele zur Auswahl! Wenn du mir Almosen schenkst, packe ich sofort meine Sachen und bin weg!“ „Reg dich ab!“, war er nun wirklich verstimmt, „Als ob ich deine Schulgebühren zahlen würde!“

Vollkommen irritiert über die Aussage schwieg das Mädchen und sah ihren Gegenüber mit großen Augen an. Jetzt verstand sie gar nichts mehr.

Kuro wusste, dass sie weiter löchern würde, bis sie eine sinnvolle Antwort bekam, also rückte er mit der Sprache raus: „Dir wird die Akademie und das Wohnheim bezahlt. Von mir aber ganz sicher nicht.“

Unschuldig hob er beide Hände und wartete auf die Reaktion der Blauhaarigen. Diese schien nun noch verwirrter zu sein.

„Wer hat dann zu viel Geld, um es für mich auszugeben?“, überlegte sie laut. „Ich weiß es nicht. Es ist alles anonym übermittelt worden“, erklärte der Suzuki-Erbe.

Da die Oberschülerin einsah, dass sie alle bekannten Informationen bekommen hatte, machte sie sich schleunigst an die Arbeit, um die Liste abzuarbeiten. Auch wenn sie glaubte, dass sie das nie und nimmer bis Ende der Woche schaffte. Eigentlich wollte sie nicht auch noch ihr gesamtes Wochenende damit zubringen. Zumal sie gezwungen war für die Nachprüfung zu büffeln.

 

 

Am späten Abend hatte sich die Truppe wieder vor dem alten Schuppen auf dem Gelände der Suzuki Oberschule getroffen. Dieses Mal war Rin pünktlich. Obwohl Akira und Amika bereits vor ihr dort waren. Lediglich Kuro und Skye ließen noch auf sich warten.

„Ich hab uns wieder Proviant eingepackt“, erklärte der Rotschopf mit einem breiten Grinsen. „Du bist eigenartig gut gelaunt dafür, dass wir uns gleich wieder in den Kampf stürzen“, wanderte der kritische Blick seiner Klassenkameradin zu ihm. „Mag sein, aber ich freue mich einfach Rin wieder zu sehen. Die Prüfungen waren so anstrengend und keiner hatte großartig Zeit für irgendwas“, wich sein Grinsen nicht. Während Benannte einen knallroten Kopf bekam, sah ihre beste Freundin leicht angewidert in die Runde: „Ich fühl mich gerade fehl am Platz. Aber viel seltsamer ist, dass du das hier als eine Art Date betrachtest.“

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, waren auch schon die fehlenden beiden Personen eingetroffen.

„Apropos“, begann die Brünette, „Wie waren eigentlich eure Prüfungen?“ Während Akira aufatmete, dass er knapp durchgekommen war, kamen vom Suzuki-Erben nur zynische Worte: „Hier gibt’s Leute, die sind dümmer als Brot.“ „Hey!“, beschwerten sich Rin und Skye zeitgleich.

Irritiert über ihre identische Reaktion schauten sie sich verblüfft an. Mit Sicherheit wären noch weitere Worte gefolgt, hätten die beiden sich nicht andere Fragen gestellt. Woher wusste der Grundschüler, dass die Blauhaarige durchgefallen war? Und warum setzte er sich plötzlich wegen sowas für sie ein? Normalerweise waren ihm solche Dinge nicht wichtig.

Noch bevor ein anderer zu Wort kam, löste Kuro die Fragezeichen, die jedem einzelnen ins Gesicht geschrieben waren: „Sie sind einfach beide durch die Prüfungen gefallen. Die Nervensäge hier ist einfach in allem miserabel.“

Ehe sie es sich versah, hatte er der ehemaligen Stipendiatin mit dem Finger gegen die Stirn geschnipst und ein lautes „Aua!“ ertönte.

„Skye hingegen hat zumindest ein paar Fächer in denen nicht alle Hoffnung verloren ist“, schnaubte der Ältere, „Trotzdem ist es einfach nur seltsam, dass er in Mathe zum Beispiel beinahe die volle Punktzahl hat und in Altjapanisch nicht einen Punkt geholt hat.“ „Das braucht doch auch kein Mensch“, protestierte der Grundschüler und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust, „Ihr wolltet doch, dass ich in die Schule gehe. Also lebt damit.“ „Dieses Thema ist noch nicht vom Tisch“, mahnte der Schwarzhaarige.

Während das Gespräch noch eine Weile hin und her ging, erklärte Rin wie es aktuell mit ihrem Stipendium stand. Aber auch ihre beiden ehemaligen Mitschüler hatten keine Idee wer der anonyme Spender sein sollte und ob es in Ordnung war es anzunehmen. Doch dazu war nun nicht der richtige Zeitpunkt. Sie hatten immerhin einen Boss zu bezwingen und die Schülersprecherin zu befreien. Die Frist war ziemlich knapp, denn schon übermorgen war es bereits zu spät. Es galt also jetzt oder nie.

 

Wenig später fand sich die Gruppe wieder in der eisigen Lobby des Dungeons. Ihre Blicken waren nach oben gerichtet zu der zweiflügligen Tür, welche man durch die geschwungene breite Treppe von links oder rechts erreichte. Sie waren sich alle sicher, dass dort das Finale auf sie wartete.

Entschlossen stiegen sie die Stufen hinauf. Ihre Waffen fest umklammert bereiteten sie sich innerlich schon auf einen harten Kampf vor.

„Bereit?“, blickte Rin in die Runde und bekam von allen ein Nicken, ehe sie den Durchgang aufstieß.

Ein kurzer Windstoß gemischt mit Nebel kam ihnen entgegen und sie traten in den Raum hinein. Wie gewohnt verriegelte sich die Tür wieder von selbst und sie waren eingesperrt.

Bis zum Knie standen sie in einer Art Nebel, welcher den Boden bedeckte. Dieser schien jedoch eben zu sein und es bestand zumindest keine Stolpergefahr. Das Umfeld war wieder völlig aus Eis und der Raum war verhältnismäßig doch sehr hell.

Abstrakt war er dennoch angeordnet, denn hier und da standen Schulpulte und Stühle sowie einige Krankenbetten aus Eis. Auch Gefängnisgitter waren kreuz und quer platziert. Die meisten ergaben jedoch wenig Sinn, da sie keinen geschlossenen Käfig bildeten. In der Mitte von all den wirren Gegenständen bäumte sich bereits ihr Gegner auf, welcher sie mit blutroten Augen anfunkelte.

Eine leichte Druckwelle ging von diesem aus, welche den Nebel für kurze Zeit verwehte, ehe er sich wieder zurückbildete.

„Ist das ein Schaf?“, war die Blauhaarige recht belustigt.

Aber Unrecht hatte sie nicht, denn der Umriss des schwarzen Wesens glich wirklich dem eines überdimensionalen Schafes.

„Scheint so“, bejahte Amika die Frage.

Unterdessen hatte der Suzuki-Erbe versucht eine Schutzmauer zu errichten, um nicht wie beim letzten Mal eiskalt erwischt zu werden. Blöderweise verhinderte das Eis aber, dass er irgendwo Erde herbekam. „Verflucht“, knirschte er mit den Zähnen und auch seine Kameraden bemerkten, dass es um ihre Verteidigung in diesem Fall eher schlecht stand.

„Lasst uns direkt in die Offensive vorgehen. Das ist ja bekanntlich die beste Verteidigung“, warf die Brünette ihren Rubin in die Luft und zersplitterte ihn mit einem Händeklatschen, „Persona! Taiga, erscheine!“

Mit einem Agilao schickte sie ihre Persona in den Kampf und verbuchte mit der Feuerattacke einen kritischen Treffer. Direkt ging der Shadow zu Boden und Skye rief erstaunt: „Was ist denn jetzt los?! Er ist so gut wie besiegt?!“ „Mit einem Schlag?“, hakte der Schwarzhaarige nach, „Das kann doch überhaupt nicht sein.“

Auch der Rest der Truppe vergewisserte sich über die unglaubwürdige Aussage des Jüngsten. Schnell warfen sie einen genaueren Blick durch ihr Horo auf den Bossgegner. Zwar hatten sie keine genauen Angaben, doch konnten sie deutlich erkennen, dass der verursachte Schaden immens war.

Gerade als sie sich freuten, dass es dieses Mal so einfach war, tauchten plötzlich weitere Gegner um das große Schaf herum auf.

„Das sind Nigi Mitama, Amen no Uzume und Silky!“, klärte der Grundschüler seine Mitstreiter über die in Scharen erschienenen Shadows auf. „Na klasse und jetzt?!“, wich Akira einen Schritt zurück.

Die Hoffnung auf ein schnelles Ende war somit wieder zunichte gemacht.

„Wir müssen Ruri finden“, war die Blauhaarige fest entschlossen, „Da es ihr Shadow ist, kann sie uns auch am meisten helfen.“ „Ja stimmt. Bisher haben wir alle unsere Shadows selbst bezwungen“, stellte der Suzuki-Erbe fest. „Woher willst du wissen, dass sie hier ist?“, verstand Amika die Logik dahinter nicht.

Kurz erklärte ihre beste Freundin, dass es im vorherigen Dungeon genauso war. Auch die Shadows der ersten beiden Persona-User ließen sich nicht durch rohe Gewalt besiegen.

„Ich glaub der Schlüssel zum Sieg ist es, dass die betroffene Person zur Vernunft kommt“, überlegte der Rotschopf.

Allgemeine Zustimmung ergab, dass sich die Gruppe teilen wollte. Zwei, die gemeinsam nach der Schülersprecherin suchten und der Rest, der die Gegner ich Schach hielt.

„Ich gehe mit unserem nutzlosesten Angreifer“, erklärte sich Kuro direkt bereit zur Suche. „Nein, lass mich mit Rin gehen“, war für Akira sofort klar wen sein Kumpel da wieder beleidigte, „Bleib du mit Shiori-chan hier an der Front. Ihr seid am effektivsten im Kampf.“ „Kannst du sie etwa beschützen, wenn ein Shadow auf sie losgeht?“, argumentierte der Schwarzhaarige besser als es seinem besten Freund lieb war. „Ihr tut gerade so als sei ich nicht in der Lage mich selbst zu wehren!“, fühlte sich das Mädchen ziemlich unterschätzt, „Ich kann selbst auf mich aufpassen.“ „Leute, entscheidet euch schneller! Ich kann hier nicht ewig alle gleichzeitig beschützen“, kam es von der Brünetten, welche mitten im Kampfgeschehen war.

Nach weiteren Diskussionen hatten sie sich dann schlussendlich entschieden, dass Akira seine Freundin begleitete, da Amika vollkommen aufgeschmissen war gegen die Wasserangreifer. Die Erdangriffe des jungen Mannes hingegen waren sehr effektiv.

Kaum setzten die Auserwählten den ersten Schritt tiefer in den Raum, wurden die ganzen Shadows schließlich von dem Schaf mit einem Schlag besiegt und zerfielen in Lichtpartikel. Diese saugte das Geschöpf auf und rappelte sich daraufhin wieder auf.

„Hat der sich gerade geheilt?!“, fielen der Feuerkämpferin beinahe die Augen aus. Auch der mit ihr zurückgebliebene Partner knirschte mit den Zähnen: „Das ist gar nicht gut. Lass uns schnell einen gemeinsamen Angriff starten, bevor es zu spät ist!“

Währenddessen nutzen die beiden anderen die Chance unbemerkt auf Erkundungstour zu gehen. Da sie das eisblauhaarige Mädchen zuvor nicht ausfindig machen konnten, vermuteten sie, dass sie sich tiefer im Inneren befand. Vermutlich hinter ihrem Gegner.

„Ob wir sie wirklich finden? Vielleicht ist sie ja gar nicht hier“, war Akira ziemlich unsicher. Seine Begleiterin jedoch gab nicht so leicht klein bei: „Keine Sorge. Bisher war es immer so, dass die eigenen Shadows nur im Beisein auftraten. Die Frage ist viel mehr wo Ruri steckt. Aber weit kann sie nicht sein.“

Tatsächlich behielt Rin recht und sie fanden das Mädchen in der letzten Ecke. Sie saß an einer der Schulpulte, hatte den Kopf auf den Armen abgelegt und schien zu schlafen. Allerdings war sie nicht so leicht zu wecken, denn die beiden Oberschüler kamen nicht an sie ran. Um die Schulsprecherin waren Gitterstäbe aus Eis, welche diese wie in einem Kerker einsperrten.

„Ruri!“, versuchte die Blauhaarige sie durch das Hindernis zu erreichen. Wie zu erwarten war ihr Arm zu kurz, um sie zu fassen. Das hätte jedoch jeder mit bloßem Auge erkennen können.

„Du wirst nicht an sie rankommen“, legte der Rothaarige seiner Freundin die Hand auf die Schulter. Da sie genau wusste, dass er recht hatte, stoppte sie ihre Bemühungen: „Ich weiß ja. Aber irgendwie müssen wir sie ins Hier und Jetzt holen.“ „Und wenn wir ihr etwas an den Kopf werfen?“, sah Akira seinen Baseballschläger an. „Spinnst du? Wenn du ihr eine Gehirnerschütterung erteilst wird sie davon sicherlich nicht wach“, war das Mädchen strikt dagegen.

Obwohl sie dadurch auf die Idee kam es mal mit ihrem Lacrosse-Schläger zu versuchen. Er war länger, wodurch er eventuell auch ohne Werfen zu ihr gelangte. Angestrengt versuchte sie die Schlafende damit zu erreichen, aber es half nichts. Zwar fehlten nur wenige Zentimeter, aber diese waren essentiell. Noch ein wenig schob Rin den Stab in ihrer Hand nach vorne. Je weiter hinten sie griff umso mehr Spielraum hatte sie. „Du schaffst das!“, feuerte der junge Mann sie an, „Das klappt!“

Tatsächlich war die Blauhaarige auf einem guten Weg ihre Mitschülerin damit zu erreichen, wäre ihr nicht das Sportgerät aus der Hand gerutscht und zu Boden geplumpst.

„Shit“, fluchte sie, ging in die Hocke und versuchte ihn wiederzubekommen. „Warte. Vielleicht komme ich mit meinem Baseballschläger ran und kann ihn zurückziehen“, hangelte Akira danach. Seine Freundin hatte mittlerweile aufgegeben und sich auf den Boden gesetzt: „Das wird so nichts. Wir brauchen eine andere Strategie.“ „Wie wäre es, wenn du Kyusagi nutzt und einen Angriff auf sie startest?“, überlegte der Rotschopf. „Dann kann ich ihr auch gleich den Baseballschläger über die Rübe ziehen“, versuchte sie ihm so nett es nur ging zu erklären, dass es eine dumme Idee war.

Allerdings brachte sie diese Aussage zu einer anderen Idee und sie schreckte kurz auf: „Du hast doch Getränke dabei, oder?“ „Eh… ja?“, verstand Gefragter nichts, öffnete aber seinen Rucksack.

Schnell zog Rin daraufhin eine normale Flasche Wasser heraus und öffnete sie.

„Hast du jetzt plötzlich Durst bekommen oder was ist los?“, sah man dem Oberschüler noch immer seine Verwirrung an. „Nein, aber vielleicht macht sich das Training mit Skye nun bezahlt“, setzte sich die Blauhaarige in den Schneidersitz und stellte die offene Flasche vor sich.

Völlig konzentriert streckte sie die Hände ein wenig nach vorne und bewegte diese ganz leicht. Daraufhin begann sich das Wasser in der Flasche plötzlich zu bewegen und es kam langsam nach oben herausgeflossen. Eine recht instabile Kugel bildete sich daraus, welche über ihren Händen schwebte. Vorsichtig versuchte Rin diese in Richtung der Schülersprecherin zu lotsen und so langsam verstand auch der junge Mann den Plan. Gebannt schaute er zu, wie das Wasser sich langsam weiterbewegte. Es fehlte noch ein guter Meter, als es plötzlich einen lauten Schlag gab und der Raum kurz bebte. Völlig in Gedanken erschrak Rin dadurch und die Kugel zerplatze augenblicklich.

Natürlich hatte sie ihr Ziel nicht erreicht und die beiden Oberschüler fluchten, als sie den Grund für das Beben erörtern wollten.

Ihr Gegner ging zu Boden und schien erneut kurz vor dem K.O. zu stehen. Ob es vielleicht doch mehr Sinn machte das Schaf einfach zu besiegen? Immerhin hielt es offensichtlich nicht sehr viel aus. Es musste nur besiegt werden, bevor es erneut einen Heilprozess starten konnte.

„W-Was ist das…?“, ertönte plötzlich eine leise Stimme, „Wo bin ich?“

Schlagartig fuhren Rin und Akria herum, denn die Schlafende war aufgewacht. Mit stechend gelben Augen sah sie sich schlaftrunken um und verstand die Welt nicht mehr.

Obwohl die Stimme des Mädchens nur sehr leise war, stellten sich sofort die Ohren des Schafes auf und es drehte sich schwermütig herum.

Endlich bist du aufgewacht!“, kam es mit verzerrter Stimme von der schwarzen Gestalt. „I-ich?“, sah man der Eisblauhaarigen die Angst ins Gesicht geschrieben, „W-wer bist du?“ Ein Grinsen ging von dem Shadow aus und seine Augen funkelten beinahe: „Ich bin du und du bist ich.

Panisch sprang Rin daraufhin auf, krallte sich an den Gitterstäben fest und schrie ihre Klassenkameradin förmlich an: „Nicht antworten! Hörst du?!“ Völlig verwirrt sah die Schülersprecherin zu dem Mädchen: „W-warum denn? Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Dieses Ding bin doch nicht ich.“

Vorsichtig deutete sie auf das Schaf, welches nun laut begann zu lachen, während es sich wieder erhob. Auch Ruri stand nun auf und kam näher. Sie hielt sich ebenfalls an der Absperrung fest und blickte ziemlich verzweifelt auf das sich aufbäumende Wesen.

Ein relativ heftiger Schneesturm kam auf und erneut ertönte seine verzerrte Stimme: „Oh doch! Wir sind eins und ich kenne all deine Gefühle und Sehnsüchte. Ich weiß wie sehr du dich von deiner Familie verstoßen fühlst. Am liebsten würdest du einfach sterben, und deinen Vater, deine Mutter und deine Geschwister mit in den Tod stürzen. Sie haben es nicht anders verdient! Wahahahar!“ „Nein!“, hielt sich Angesprochene den schmerzenden Kopf und versuchte die Tränen zu unterdrücken, „Niemand hat den Tod verdient! Es ist meine eigene Schuld, dass meine Familie mich weggeschickt hat!“

Plötzlich kamen zu dem heftigen Schneesturm auch noch gewaltige Eissplitter heruntergehagelt.

„Rin!“, schrie Akira, während er krampfhaft versuchte die großen Brocken mit dem Baseballschläger abzuwehren. Blitzartig reagierte die Wasserkämpferin, schmiss ihren Saphir mit voller Wucht gen Boden und beschwor Kyusagi: „Persona!“

Mit Single Kick wehrte die Hasenfrau pausenlos die Geschosse ab. Dadurch nahm sie auch einiges an Schaden, wodurch ihre Besitzerin einknickte und zu Boden ging.

„Maragi!“, erschallte es plötzlich aus der Ferne und Taiga schmolz nicht nur die Eissplitter, sondern beendete damit auch das Dauerfeuer und zwang das Schaf erneut in die Knie.

Dieses keuchte schwer, als die Gruppe endlich wieder vereint war.

„Komischerweise hat dieses Vieh so gut wie keine Verteidigung, dafür aber gewaltige Heilkräfte“, erklärte Skye, „Es ist wie ein Stehaufmännchen, das nicht kleinzubekommen ist.“

Noch bevor einer etwas erwidern konnte, erklang die verzerrte Stimme wieder: „Ksch! Das werdet ihr noch bereuen. Ihr könnt mich niemals bezwingen!“ „Was geht hier vor sich?“, hatte Ruri dicke Tränen in den Augen.

Die Situation überforderte sie maßlos und sie hatte große Angst.

Ruri! Endlich ist der Tag der Rache gekommen! Lass uns all jene, die dir Leid zugefügt haben vernichten. Wir fangen mit diesen Wichtigtuern an und dann werden wir uns deine Schwester vornehmen. Nicht zu vergessen natürlich auch noch deine Mutter!“, kicherte das am Boden liegende Schaf. „Ich will nicht“, schluchzte das Mädchen und sackte nun auch auf die Knie.

Sie verstand die bösen Absichten nicht, die die schwarze Gestalt hegte und es verunsicherte sie ungemein, dass diese so viel über sie wusste. Trotz allem war diese Art von Racheakt viel zu extrem.

Ihre ablehnenden Worte schenkten dem Gegner wieder neue Kraft und ein weiterer Angriff prasselte auf die Gruppe nieder. Dieses Mal schien der Schneesturm noch dichter, sodass es wirklich schwer war herauszufinden von wo das Eis auf sie zukam.

„Nanu?“, kam es von Amika, „Maragion!“ Ihre Persona hatte eine neue, noch stärker Flächenattacke gelernt, welche gerade recht kam und nicht nur alle beschützte, sondern auch den Shadow wieder ruhigstellte. Ein ewiger Kreislauf schien zu entstehen.

Und nachdem dann deine Familie dran glauben musste, geht es mit deiner besten Freundin weiter“, redete die Gestalt wieder auf Ruri ein, „Sie hat dich einfach verlassen, um berühmt zu werden. Und ihr Bruder erst… Haha sein schlechtes Verhalten dir gegenüber ist beinahe schon nicht mehr von dieser Welt.“ „Blödsinn!“, verteidigte sie beschuldigte Personen, „Lass Akki aus dem Spiel! Nur weil sie sich ihren Traum erfüllen wollte ist sie noch lange keine schlechte Freundin! Außerdem bin ich doch von ihr abgehauen!“

„Ruri, hör auf ihm immer wieder zu widersprechen!“, befahl Kuro, „Damit stachelst du ihn offensichtlich an!“

Gerade als der Shadow neue Kraft in ihren ablehnenden Worten fand, hängte sie an ihre Aussage noch etwas dran: „Na ja… was ihn angeht. Er verhält sich wirklich ziemlich gemein und ich werde einfach nicht schlau aus ihm. Manchmal möchte ich ihm wirklich gerne eine scheuern.“

Mit betrübter Miene schaute sie gen Boden. Ihre Gedanken waren völlig durcheinander und sie dachte über die verschiedensten Personen nach. Vielleicht steckte doch ein Funken Wahrheit in dem was das Schaf von sich gab.

Nein!“, verlor die schwarze Gestalt an Kraft und auch der Schneesturm legte sich langsam.

„Es ist schon ein wenig lustig“, schmunzelte die Eisblauhaarige, „Du sagtest, dass wir eins sind und irgendwie hast du auch recht. Ich bin wie du ein schwarzes Schaf. Manchmal glaube ich, dass ich gar nicht zu meiner Familie gehöre. Warum wurde nur ich weggeschickt? Warum wird nur mir verboten meinen Traumberuf zu verfolgen? Dafür möchte ich meine Familie wirklich gerne beschimpfen und Rache üben.“

Hör auf! Nein! Sprich nicht weiter!“, wurde die tiefe verzerrte Stimme immer höher und der Shadow immer kleiner, bis er schließlich nur noch die Größe eines süßen Plüschtieres hatte.

Kaum hatte er aufgehört zu schrumpfen, zersplitterte das Gefängnisgitter in unendlich viele kleine glitzernde Partikel und gab Ruri frei. Diese rappelte sich nun wieder auf und schritt zu dem kleinen schwarzen Schäfchen. Vorsichtig nahm sie es auf den Arm und streichelte es, während es sich wie wild dagegen wehrte. Wenige Sekunden später zerfiel die schwarze Gestalt dann zu kleinen Lichtpartikeln und fuhr in die Rocktasche der Eisblauhaarigen.

Mit einem Lächeln im Gesicht und kleinen Tränen in den Augenwinkeln wandte sich die Eisblauhaarige dann zu ihren Rettern. Ein „Arigatou“ huschte ihr über die Lippen, ehe sie selbst zu kleinen Lichtpartikeln zerfiel. Aus diesen flog ein kleiner blauer Schmetterling, welcher ebenso schnell wieder verschwunden war, wie er aufgetaucht war. Ein kurzer Blick auf ihr Horo verriet Rin, dass soeben der Social Link mit Ruri und ihr eigener um eins aufgestiegen waren.

Aufatmend machte sich die Gruppe dann auch auf den Weg nach Hause. Unterdessen nutzten sie die Getränke, welche Akira dabeihatte, um wieder neue Kraft zu tanken und die davongetragenen Wunden und Schmerzen zu lindern.

 

Kaum waren sie in ihrer Welt, nahm die Blauhaarige wieder die Beine in die Hand und rannte zurück zum Wohnheim. Der Grundschüler tat es ihr gleich, hatte allerdings wenig Lust zu rennen und nahm seine Vogelgestalt an, um mitzuhalten.

„Warum hat sie es denn schon wieder so eilig?“, war Akira sichtlich enttäuscht. Offensichtlich wollte er sie noch ein Stück begleiten, um ein wenig gemeinsam Zeit zu verbringen. Sein Kumpel kommentierte dies ziemlich gleichgültig: „Ich verstehe es auch nicht.“

Natürlich wusste er von dem Geheimnis, aber es machte in seinen Augen keinen Sinn es vor dem Rotschopf zu verheimlichen. Alle anderen waren doch auch in diese Tatsache eingeweiht.

„Ach, sie wird noch die Zeit zum Lernen nutzen wollen“, winkte Amika nur ab.

Zumindest sie verstand warum es ihrer besten Freundin so wichtig war diese Tatsache zu verheimlichen. Kein Mädchen dieser Welt würde ihrem festen Freund gestehen wollen, dass sie hin und wieder das Geschlecht wechselte. Immerhin war das Grund genug zum Schlussmachen.

Ein Niesen entwich dem Suzuki-Erben und er griff sich an den Kopf: „Mir brummt der Schädel.“ „Hast du dich etwa in der Eiseskälte verkühlt?“, machte sich sein Kumpel Sorgen und seine Gedanken über Rin waren erstmal wieder vergessen. „Quatsch“, murrte der Ältere, „Ich hab keine Zeit zum Kranksein.“ „Dann ruh dich zumindest für heute aus und mach nicht wieder die halbe Nacht durch“, schimpfte Akira. Als Antwort bekam er nur ein genervtes „jaja“.

„Man merkt, dass ihr wirklich gute Freunde seid“, kicherte die Brünette. „Wenn du meinst“, färbten sich Kuros Ohren rot. Sein Kumpel musste daraufhin lachen: „Klar sind wir das.“

 


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