Kapitel 39 - Realitätsflucht


 

 

Montag, 18. Mai 2015

 

 

 

Endlich war es so weit: Der Tag der Prüfungsergebnisse war herangebrochen und nervös suchend stand Momiji vor der großen Anschlagtafel im Eingangsbereich des Schulgebäudes. Dort hingen wie immer die Leistungen aller Schüler aus, die bestanden hatten. War man durchgefallen, wurde man nicht gelistet.

 

Nachdem die Blau-Grünhaarige ihren Namen fand, atmete sie erleichtert auf. Sie war sogar unter den besten 20 des Jahrgangs, weswegen ihre Sorge mehr als unbegründet war.

 

Neugierig schweifte ihr Blick nochmal über die große Liste und sie entdeckte auch Kuro, welcher sogar unter den Top 10 seines Jahrgangs thronte. Eigentlich war es von ihm auch nicht anders zu erwarten, obwohl sich das Mädchen immer wieder fragt wann es der Ältere schaffte zu lernen. Seine Arbeit war nie endend und er hatte selten Zeit zu Verschnaufen.

 

Doch bevor Momiji den Gedanken vertiefen konnte, wurde sie plötzlich ins Hier und Jetzt zurückgeholt, als zwei gleichaltrige Schülerinnen recht laut ihr Erstaunen äußerten: „Woah es haben zwei Leute aus unserem Jahrgang die volle Punktzahl erreicht in den Prüfungen!“ „Wie krass ist das denn?!“, entgegnete die andere. „Schaut mal, die heißen beide Nakatsu mit Nachnamen“, trat ein Mitschüler an sie heran. „Shura Nakatsu ist bei mir in der Klasse, aber er kam mir nie sehr strebsam vor. Shun Nakatsu kenne ich nicht“, kam es von einem der Mädchen. „Der ist in der Parallelklasse laut dem Aushang hier“, meinte ihre Freundin. Erstere war noch immer mit der Verwandtschaftsfrage beschäftigt: „Ob die beiden wohl verwandt sind?“ „Kann schon sein. Aber wenn das wirklich Zwillinge sind, ist mir das noch nie aufgefallen“, grübelte der junge Mann.

 

Das laute Gespräch zog einige weitere neugierige Schüler an und es bildete sich ein recht großer Auflauf. Schnell flüchtete die Blau-Grünhaarige, um nicht über den Haufen gerannt zu werden. Eigentlich war es ja normal, dass vor den Ergebnissen immer einige herumstanden, aber das war ihr dann doch zu viel. Da Momiji vor dem Unterricht sowieso noch auf die Toilette wollte, um dort schnell ihre Frisur zu richten, tat sie dies. Draußen hatte es auf dem Weg zum Schulgebäude leicht zu regnen begonnen, weswegen sie ein wenig nass wurde und nun noch mal ihr Aussehen überprüfen wollte.

 

„Oh, Kobayashi-chan. Du auch hier?“, kam es von einer Blonden, welche vor dem Spiegel stand und sich soeben Lipgloss auf die Lippen pinselte. Direkt neben dieser war eine weitere Schülerin gerade mit ihrem Make-up beschäftigt. „Ja, der Regen draußen kam ziemlich überraschend“, blickte neu Hinzugekommene in ihr Spiegelbild und strich sich durch die Haare. „Ich hab deine Ergebnisse gesehen“, sprach nun auch die zweite, „Da kann man glatt neidisch werden, dass du so gut bist. Ich bin wahrscheinlich in Altjapanisch durchgefallen.“ Die Blonde stieg daraufhin direkt in das Gejammer ein: „Ja, stimmt. Ich will auch so gute Ergebnisse haben. Bei mir sind es sogar zwei Fächer in denen ich auf der Kippe stehe.“

 

Verlegen grinsend sah die Topschülerin zu ihren Klassenkameradinnen herüber. Sie wusste nicht was sie antworten sollte, denn am liebsten wäre sie ihnen an die Gurgel gesprungen. Sich zu wünschen besser zu sein war eine Sache, aber Momiji wusste genau, dass die beiden so gut wie gar nicht gelernt hatten. Sie selbst musste sich jedes Mal richtig reinknien, um diese Leistungen erbringen zu können. Das fiel ihr doch auch nicht einfach in den Schoß.

 

Die beiden Durchgefallenen meckerten noch kurz weiter, ehe sie schließlich wieder die Toilette verließen. Zurückgebliebene wollten sie zwar direkt mit zum Klassenzimmer schleifen, diese beteuerte jedoch sich noch erleichtern zu müssen.

 

 

 

Wenige Minuten später kam dann auch Momiji aus der Damentoilette heraus. Nun galt es sich zu beeilen, denn es klingelte gleich zum Unterricht. Um zu ihrem Klassenraum zu gelangen, musste sie wieder am Eingangsbereich vorbei und die Treppe nach oben nehmen. Die Schüler waren schon so gut wie alle in ihren Räumen, als die Brünette auf halbem Weg ihre beiden Mitschülerinnen entdeckte. Diese standen bei den Prüfungsergebnissen und ließen ihren Frust scheinbar gerade an jemandem aus: „Wer hätte gedacht, dass du so dumm bist? Dabei bist du doch Stipendiatin“ „Wenigstens sind wir dich jetzt endlich wieder los“, lachte die andere, „So jemand wie du passt einfach nicht zu dieser Schule.“

 

Beide brachen sie in Gelächert aus, während sie weiterhin gehässig auf ihr Opfer einredeten. Dieses kauerte bereits auf dem Boden, als Momiji die Szene von weitem erblickte. Wie angewurzelt blieb die Blau-Grünhaarige einige Meter weiter unbemerkt stehen und schaute nur geschockt zu. Natürlich kannte sie Gemobbte und wusste für den Moment nicht was sie tun sollte. Es war Rin, welche schon wieder zur Zielscheibe wurde. War die Blauhaarige etwa komplett durchgefallen? Je mehr sie darüber nachdachte, umso mehr realisierte sie, dass sie die Stipendiatin gar nicht auf dem Anschlagbrett gesehen hatte.

 

Was sollte sie nun tun? Schweißperlen rannen ihr die Stirn hinunter und sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Am liebsten wäre sie losgestürmt, um ihrer Kollegin zu helfen. Sie mochte die beiden Schnepfen aus ihrer Klasse selbst nicht und würde ihnen am liebsten mal die Meinung geigen. Aber wenn sie das täte, würde sie genauso auf der Abschussliste landen wie Rin. Das konnte sie auf gar keinen Fall riskieren. Was hatte sie also davon dem Mädchen zu helfen? Sie hätte dadurch noch nicht mal eine Freundschaft bewahrt, da die Blauhaarige offenbar ihr Stipendium verloren hatte und sowieso von der Schule abgehen würde.

 

Verzweifelt biss sie sich auf die Unterlippe. Was nun?

 

Panisch folgte sie dem weiteren Geschehen und sah wie die blonde Mitschülerin sich zu ihrem Opfer herunterbeugte und ihr belustigt die Uniformschleife entriss: „Die brauchst du ja jetzt nicht mehr.“ Kichernd nahm ihre Freundin diese mit zwei Fingern entgegen und warf sie ohne zu zögern angeekelt in den nächsten Mülleimer: „Ihh, ich hab ihren ekligen Kram angefasst.“

 

Belustigt über die ach so coole Aktion feierten die Mobber ihre Tat, während Momiji noch immer wie versteinert war. Sie wusste, dass Rin häufig böse Worte erntete, gerade weil sie nicht aus wohlhabenden Verhältnissen stammte und zu allem Übel auch noch häufig vom beliebtesten Schüler angesprochen wurde. Der „Suzuki-Prinz“ war generell ein ziemlich großer Streitpunkt unter vielen der Mädchen. Aber wer konnte denn ahnen, dass das Mobbing solche Ausmaße annehmen würde? Die Jüngere musste jetzt endlich eingreifen! Zittrig setzte sie einen Fuß vor den anderen, als es plötzlich zum Unterricht klingelte. Das unerwartete Geräusch ließ Versteinerte heftig zusammenzucken und sie hielt kurzzeitig den Atem an. Einige Schritte rückwärtsgehend drehte sich das Mädchen schlagartig um und verschwand hinter der nächsten Ecke. Ihr beiden Mitschülerinnen sprangen nämlich auf, um sich in Bewegung zu setzten und Momiji wollte nun doch nicht mehr von ihnen entdeckt werden. Das Mobbing wurde immerhin durch die Klingel unterbunden.

 

Schwer schnaubend und mit rasendem Herz lehnte sie mit dem Rücken zur Wand und versuchte sich wieder zu beruhigen. So viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf und sie wusste nicht wie sie sie ordnen sollte. Das Einzige was sie realisierte, war dieses absolut schreckliche Gefühl welches durch ihren ganzen Körper drang. Es waren Gewissensbisse, Reue und auch Wut, welche sich vermischten und die Oberschülerin maßlos überforderten.

 

Immer schneller atmend sackte sie zusammen und hielt sich den Bauch. Zu allem Überfluss war ihr nun auch noch kotzelend geworden. Aber es half nichts, sie musste sich zumindest vergewissern, dass es Rin gutging. Deswegen hangelte sie sich fast schon kriechend auf dem Boden entlang. Kaum hatte sie es den Meter zur Ecke geschafft, erblickte sie nur einen leeren Flur. Scheinbar hatte sich die Blauhaarige aufgerafft und war in ihre Klasse geeilt.

 

Aus einem unerklärlichen Grund erleichterte es Momiji und ihr Puls normalisierte sich allmählich, bevor ihr plötzlich schwarz vor Augen wurde.

 

 

 

Mit brummendem Schädel wachte Umgekippte wenig später im Sanitätsraum wieder auf. Tatsächlich war es die Schulklingel, welche sie aus ihrem Schlaf riss. Diese läutete soeben die erste kurze Pause ein. Schwermütig rappelte sich das Mädchen auf und sah sich irritiert um. Wie war sie hierhergekommen? Und wie lange war sie bereits hier?

 

Ein kurzer Blick auf ihr Smartphone verriet ihr nicht nur die Uhrzeit, sondern sie entdeckte auch neue Nachrichten. Allesamt von Kuro, welcher in ersterer schieb, dass sie heute besser im Bett bleiben sollte. Die nächste war circa 10 Minuten später eingegangen und beinhaltete, dass sie auch nicht arbeiten kommen sollte. Rin könne die Aufgaben ja auch erledigen.

 

Kaum hatte die Oberschülerin das gelesen kreisten ihre Gedanken erneut um die Geschehnisse vor dem Unterricht und ihre Schuldgefühle kamen schlagartig wieder zurück. Zuerst konnte sie der Blauhaarigen keine Hilfe sein und nun würde sie ihr durch ihren Ausfall auch noch extra Arbeit aufhäufen? Das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen. Sie durfte heute nicht ausfallen.

 

Momiji wollte soeben ihre Antwort schreiben, als die Tür aufgeschoben wurde. Kein geringerer als der Suzuki-Erbe betrat den Raum, wodurch sich die Jüngere das Tippen sparen konnte.

 

„Suzuki-kun! Ich kann heute ganz normal arbeiten und am Unterricht teilnehmen“, kam es direkt aus dem Mädchen. „Du lagst bewusstlos im Flur. Das erscheint mir heute nicht sehr sinnvoll. Ruh dich bitte erstmal aus und lass dich am besten noch mal durchchecken“, erwiderte der Ältere, „Aber ich bin nicht hier um das jetzt mit dir auszudiskutieren.“

 

Er machte eine kurze Pause und Shina sah ihn erwartungsvoll an. Zwar wollte sie gegenargumentieren, aber ihre Neugierde war größer. Weswegen war er denn dann hier?

 

„Hast du die Nervensäge heute schon gesehen?“, fragte Kuro. „Wer?“, verstand das Mädchen nicht genau wen er meinte. Kurz schnaubte der Schwarzhaarige: „Rin.“ „Ach so“, ließ sie ihren Blick schweifen, „Sag das doch gleich.“ Grübelnd stand der Suzuki-Erbe da: „Selbst, wenn sie nur verschlafen hätte, wäre sie doch mittlerweile längst da. Die bekommt generell noch mal ordentlich was zu hören, wenn sie mir unter die Augen kommt. Sie ist komplett durchgefallen! Wie kann man denn so blöd sein?“

 

Meckernd ließ Kuro seiner Wut freien Lauf, während sein Gegenüber schweigend unter sich starrte.

 

„Sie fliegt jetzt von der Schule, oder?“, murmelte die Erstklässlerin. „Das ist auch noch ein Grund weswegen ich sie suche. Es gibt einige Themen zu besprechen und Arbeit habe ich auch eine Menge für sie“, wurde sein Tonfall wieder etwas ruhiger. „Ich weiß leider auch nicht wo sie steckt. Deswegen lass mich bitte meine Arbeit heute erledigen“, flehte Momiji beinahe schon. „Nein“, kam es mit einem genervten Unterton von dem jungen Mann, „Geh ins Wohnheim, bevor ich dich heute noch mal vom Boden aufheben muss.“

 

Mit diesem Satz verließ er den Raum wieder und eine geschockte Oberschülerin blieb zurück. Erst jetzt verstand sie, dass er es war, der sie hergebracht hatte. Aber eigentlich war es mehr als logisch. Woher hätte er sonst wissen sollen, dass sie umgekippt war? Peinlich berührt ließ sie sich wieder zurück ins Bett plumpsen und zog sich die Decke bis über den Kopf. Insgeheim hoffte sie auch inständig, dass keiner ihrer Mitschüler gesehen hatte was passiert war. Ein solch enger Kontakt zum „Suzuki-Prinzen“ würde ihr nur jede Menge Ärger einbringen.

 

 

 

Als Momiji sich am Nachmittag endlich auf den Weg zurück ins Wohnheim schleppte, ging sie direkt zu Rins Zimmer. Obwohl sie immer noch das Kopfweh plagte, wollte sie nun auch wissen wo die Blauhaarige war. Nach der Aktion heute Morgen war es eigentlich nicht verwunderlich, dass ihre Kollegin nicht im Unterricht aufgetaucht war. Das hätte sie sich aber auch bereits vorher denken können. Sie selbst wäre dann gewiss auch nicht im Klassenraum erschienen, sondern nach Hause gegangen.

 

Zwar wusste die Blau-Grünhaarige nicht wie genau sie der Gemobbten gegenübertreten sollte, jedoch wollte sie unbedingt nach ihr sehen. Sie machte sich große Sorgen und hoffe, dass nichts weiter passiert war.

 

Schnell ließ sie ihren Blick noch mal prüfend über den Gang schweifen, ehe sie an die Tür klopfte. Keine Reaktion. Noch einige Male versuchte sie es und rief sogar nach dem Mädchen. Es brachte allerdings nichts und ihr blieb keine andere Wahl, als an der Rezeption nach Informationen zu fragen.

 

Völlig außer Atem kam sie dort an. Leider machte ihr Körper heute was er wollte und sie sah langsam selbst ein, dass sie ins Bett gehörte.

 

Es dauerte eine Weile bis Momiji endlich in Erfahrung bringen konnte, ob Rin im Zimmer war. Die Antwort, welche sie bekam war allerdings nicht die, welche sie sich erhofft hatte. Die Blauhaarige war seitdem sie zur Schule gegangen war nicht mehr im Wohnheim gewesen. Aber wo war sie?

 

„Ob sie vielleicht nach Hause gegangen ist?“, murmelte die Oberschülerin, als sie sich auf den Weg nach oben begab. Sie wollte sich endlich hinlegen, da ihr schon wieder etwas schwummrig war.

 

Kaum lag sie dann endlich in ihrem Bett, wählte sie die Nummer ihrer Kollegin. Diese nahm nach ewig langem Klingeln jedoch nicht ab. Also versuchte sie es über LINE und schrieb, dass Kuro auf der Suche nach ihr war und sie sich bitte melden soll.

 

Die Nachricht war allerdings noch weniger hilfreich, denn sie kam nicht bei ihr an. Fast so als hätte sie ihr Telefon in diesem Moment ausgeschaltet. Ein erneuter Versuch die Stipendiatin anzurufen bestätigte den Verdacht. Zumindest war das irgendein Lebenszeichen und ein Hauch von Erleichterung entwisch der Jüngeren. Trotz allem war das noch lange keine Bestätigung dafür, dass es ihr gutging.

 

Erneut tippte Momiji auf ihrem Handy herum und wählte eine andere Nummer.

 

„Ja hallo?“, ertönte die Stimme des Suzuki-Erben. „Hallo ich bin’s. Also… Ich weiß, dass du viel um die Ohren hast, aber“, machte sie eine kleine Pause ehe sie zum Punkt kam, „bitte finde Rin. Ich mache mir wirklich Sorgen. Im Wohnheim ist sie auch nicht.“ „Ist schon untypisch, dass sie einfach verschwunden ist“, überlegte der Ältere, „Zumal sie keinen Grund hat. Ihre Prüfungsergebnisse hat sie ja auch noch gar nicht gesehen und ansonsten war ja auch nichts vorgefallen, oder?“

 

Die Blau-Grünhaarige schluckte. Natürlich war was vorgefallen, aber das konnte sie ihm nicht sagen. Würde sie ihm erklären, dass Rin ziemlich heftig gemobbt wurde und sich heute Morgen auch ein übler Vorfall ereignet hatte, würde er das Ganze hinterfragen. Dann würde er mitbekommen, dass Momiji ein Feigling war und jedes Mal einfach tatenlos zugesehen hatte. Zumal sie sich sicher war, dass Kuro gewiss keine Hilfe war, um das Mobbing zu beenden. Immerhin war er auch einer der Gründe, weswegen die Mädels die Stipendiatin auf dem Kieker hatten. Es brachte also sowieso nichts es ihm zu beichten.

 

„Na ja…“, zögerte Momiji, „Rin weiß, dass sie durchgefallen ist. Und ich glaube, dass ihr das Stipendiat sehr, sehr wichtig war. Deswegen mache ich mir auch ein wenig Sorgen.“

 

Zumindest das konnte sie dem jungen Mann sagen, um ihm einen Grund zu nennen, dass er sich nun hoffentlich in Bewegung setzte. Die Jüngere war sich immerhin im Klaren, dass der Ältere die Möglichkeit hatte die Verschollene per GPS über den Pin zu orten. Abgesehen davon wusste Momiji selbst nicht wo sie die Suche fortsetzen sollte und war zudem körperlich alles andere als fit.

 

Unter undeutlichem Fluchen legte der Schwarzhaarige einfach auf und das Mädchen atmete erleichtert auf. Sie kannte ihn nun schon eine Weile und wusste, dass ihm seine Angestellten nicht egal waren. Auch wenn er sich immer mit Rin stritt, hieß das nicht, dass sie ihm komplett egal war.

 

 

 

Knurrend öffnete er das Ortungsprogramm an seinem PC und suchte nach dem Standort der Vermissten. Kurz erklärte er seinem Butler Joel was los war und schickte diesen anschließend auf den Weg zum georteten Signal. Er sollte Rin finden und sie zum Suzuki-Anwesen bringen.

 

Gesagt getan fuhr der ältere Mann quer durch die Stadt, während Kuro seiner Arbeit weiter nachging. Es verstrich über eine Stunde und der junge Mann wurde zunehmend unkonzentrierter. Dass er noch immer keine Antwort hatte, nervte ihn.

 

Um auf andere Gedanken zu kommen verließ er schließlich sein Büro und ging zur Küche, um sich etwas zum Essen zu organisieren. Es war zwar noch ein wenig zu früh zum Abendessen, aber es lenkte ihn wenigstens von der Warterei ab.

 

Gerade als er sich einen Ladung Reis in den Mund schob, klingelte plötzlich sein Smartphone. Kurz zuckte er zusammen, da er nicht mit einem Anruf rechnete. Einen Blick auf das Display kläre aber schnell wer ihn anrief und sofort nahm der Schwarzhaarige ab: „Hast du sie gefunden, Joel?“ „Komischerweise nicht. Das Signal kommt aber ganz eindeutig hier von diesem Friedhof“, erklärte er.

 

Nun öffnete auch der Suzuki-Erbe noch mal das Ortungsprogramm, um sich zu vergewissern. Unterdessen schwiegen sich die beiden an und das Einzige was man vernehmen konnte, war der prasselnde Regen auf dem Schirm des Älteren. Es wollte heute gar nicht mehr damit aufhören.

 

„Kann es vielleicht sein, dass diese Idiotin den Pin verloren hat und du sie deshalb nicht findest?“, brach Kuro schließlich wieder die Stille.

 

Auch er sah nun, dass die geortete Stelle seit letztem Mal gar nicht gewandert war.

 

„Das habe ich auch schon überlegt, deswegen habe ich hier nach dem Anstecker gesucht. Mittlerweile weiß ich auch warum Aikawa-chan hier gewesen war und ich hab genauer um das Familiengrab herum gesucht, aber keine Chance“, klärte sich somit auf, warum die Antwort des Butlers so lange auf sich warten ließ. „Familiengrab?“, galt die Aufmerksamkeit des Jüngeren nun dieser Tatsache, „Kannst du mir ein Foto davon schicken? Vielleicht hilft uns das weiter.“ Etwas irritiert hakte Joel nach: „Warum sollte das helfen?“

 

Eine Antwort blieb aus, stattdessen war der Blick des Suzuki-Erben auf die Karte fixiert, auf welcher das Signal plötzlich anfing zu flackern, ehe es komplett erlosch.

 

„Na super, ich glaub jetzt ist der Pin komplett hinüber“, meckerte er, als er soeben auf LINE das gewünschte Foto vom Grab empfing.

 

Gerade als er sich dieses anschauen wollte, ploppte plötzlich das Signal wieder auf der Karte auf. Dieses Mal aber um einiges weiter weg mitten im Wald auf dem Berg zum Mizuiro Tempel hinauf. „Hast du das gesehen?!“, kam es entgeistert vom Oberschüler. Zustimmung ertönte am anderen Ende des Hörers: „Das ist auf dem Wanderweg und fernab der Straße, durch welche man mit dem Auto nach oben gelangt. Aber es regnet wie aus Eimern, da müsste der Weg fast schon unpassierbar sein durch den ganzen Schlamm.“ „Hol mich ab, ich verfolge das Signal, Joel“, forderte Kuro ernst, „Wahrscheinlich ist der Anstecker vom ganzen Regen nass geworden und hat nun Schwierigkeiten den genauen Standort zu übermitteln.“ „Das ist doch Blödsinn, junger Herr. Ich nehme die Straße und warte einfach oben, bis sie angekommen ist“, widersetzte sich der Ältere. „Wer sagt, dass sie überhaupt ankommt?“, konnte man seine Sorge deutlich heraushören. Kurz stockte der Butler: „Wir sollten wohl besser die Feuerwehr alarmieren.“

 

Irgendwie schaffte es der Suzuki-Erbe ihn zu überreden, dass er das erst mal nicht tat. Stattdessen hatte er den jungen Mann zügig aufgegabelt und sie parkten nun am Fuße des Wanderwegs. Der Regen verschlimmerte sich immer mehr und in der Ferne konnte man den ein oder anderen Blitz erkennen, auf welchem nach einigen Sekunden auch ein lauter Donner folgte.

 

„Das ist Wahnsinn da jetzt hochzuwandern!“, redete Joel auf ihn ein, „Lasst uns die Feuerwehr verständigen und Aikawa-chan bei der Polizei als vermisst melden. Das ist viel vernünftiger als sich selbst in Gefahr zu bringen!“ „Mach dir keine Sorgen“, zog Kuro entschlossen den Reißverschluss seiner Regenjacke zu, „Ich habe zu der Natur eine besondere Bindung. Sie wird mich schützen, vertrau mir. Warte zur Sicherheit oben auf dem Berg.“

 

Noch bevor der Ältere diesen Blödsinn kommentieren konnte, hatte der Schwarzhaarige sich mit einem Griff die Kapuze übergeworfen und war auch schon aus dem Wagen gestürmt. Was nun? Joel vertraute eigentlich bisher immer auf das Urteilsvermögen des Oberschülers, aber dieses Mal erschien es ihm getrübt zu sein. Andererseits konnte er auch nicht einfach bei Polizei und Feuerwehr anrufen. Na ja, klar konnte er es, aber die Kettenreaktion die dieser kurze Anruf auslösen würde, wäre fatal. Und solange die Probleme noch allein zu lösen waren, wollte er diese Kettenreaktion genauso umgehen wie der Jüngere es aktuell versuchte. Doch war das in dieser Situation auch wirklich die richtige Entscheidung? War die Unversehrtheit zweier Menschen unwichtiger als die Mundpropaganda, welche dem Ruf der Suzukis schadete? Jeder interessierte sich für sie und einige würden sogar davon profitieren, wenn das Ansehen der Firma in den Dreck gezogen werden würde. Aber was hatte der Suzuki-Erbe denn davon, wenn er stattdessen seine Gesundheit aufs Spiel setzte? Joel konnte und durfte es nicht entscheiden. Auch ein anonymer Anruf würde jetzt nichts mehr bringen. Selbst wenn die Beamten das Mädchen finden würden, wäre Kuro auf kurz oder lang auch gefunden worden.

 

Mit mulmigem Gefühl machte sich der Butler schließlich mit dem Auto auf den Weg nach oben zum Tempel.

 

 

 

 

 


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