Donnerstag, 14. Mai 2015
Endlich klingelte es zum Schulschluss. Die letzte Prüfung war soeben geschrieben und Rin streckte sich ausgelaugt. Kuro, welcher neben ihr saß packte nur schnaubend seine Sachen zusammen, ehe er sich an das Mädchen wandte: „Komm bitte direkt zu mir nach Hause. Da wartet jede Menge Arbeit.“ „Aber ich dachte wegen des Examens hätte ich frei?“, kam es nur entsetzt aus Angesprochener. „Das ist ja jetzt vorbei, also kannst du wieder ranklotzen“, erhob er sich und machte sich vom Acker.
Zurück blieb eine genervte Stipendiatin, die nach den Strapazen der letzten Tage so gar keine Lust hatte nun auch noch zu arbeiten.
Widerwillig machte sie sich also direkt auf den Weg und traf auf halber Strecke ihre Kollegin Momiji. Diese wurde scheinbar auch zum Suzuki-Anwesen beordert.
Dort angekommen, wartete bereits ein großer Berg von Büroarbeit auf die beiden Mädchen.
„Oh nö. Ich will nicht“, jammerte die Blauhaarige nur. Aber auch zweitere legte einen wenig begeisterten Gesichtsausdruck an den Tag.
„Lass es uns einfach aufteilen, dann geht’s schneller“, übernahm die Blau-Grünhaarige die Einteilung der Aufgaben.
Sie hätten sie auch jeweils gemeinsam abarbeiten können, aber so fühlte es sich nach weniger an und jeder konnte sich auf seine Sache konzentrieren.
Gerade als Rin einen der vielen Briefe verschloss, brach ihre Kollegin die seit längerem anhaltende Stille: „Deine Ärmel sind ja ganz dreckig.“
Irritiert schaute sie die Jüngere an, da sie durch ihre plötzlichen Worte völlig aus dem Konzept gebracht wurde. Anschließend überprüfte sie die soeben gemachte Feststellung und bemerkte, dass die weißen Ärmel ihrer Schuljacke an der Unterseite wirklich verdreckt waren. Es war ein gräulicher Schleier, welcher aussah, als hätte sie damit über eine dreckige Oberfläche gewischt.
„Na toll, schon wieder?“, musterte sie ihre Uniform, welche scheinbar nicht zum ersten Mal so aussah. „Ist das schonmal passiert?“, legte Momiji neugierig ihren Kopf schief, „Warum ziehst du denn dann nicht was anderes an?“ Die Frage war zwar berechtigt, aber die Stipendiatin ärgerte sich eher über die helle Uniform an sich: „Ich versteh nicht welcher Idiot sich dieses blöde helle Design ausgedacht hat. Ich mein, die Farbe der Suzuki ist zwar gelb, aber das muss man ja nicht gleich mit weiß kombinieren. Die Jungs haben doch auch eine schwarze Jacke.“ „Das mag zwar sein, aber dafür haben die Jungs eine gelb-karierte Hose“, erwähnte ihre Kollegin, „Ich finde das ist sogar noch schlimmer als eine weiße Jacke.“ Zustimmend nickte Rin: „Auch wieder wahr. Trotzdem ist mir dieses ganze Helle ein absoluter Dorn im Auge.“ „Warum ziehst du dann nicht was anderes an? Die sind doch nicht so streng mit der Kleiderordnung wie andere Schulen. Außerdem haben wir doch eine schwarze Strickjacke bekommen“, erklärte die Blau-Grünhaarige. „Stimmt eigentlich“, grübelte die Ältere, „Ich könnte ja genau wie du eine dunkle Strickjacke tragen. Aber ob das warm genug ist?“ „Ja, die ist super kuschlig und hält sogar besser warm als die Uniformjacke“, kam prompt eine aufklärende Antwort.
Sofort davon überzeugt, stimmte das Mädchen ein diese mal auszuprobieren.
Noch am selben Abend testete sie den neuen Look aus und musste feststellen, dass ihre Kollegin recht hatte. Die Strickjacke war wirklich warm. Fast schon zu warm. Deshalb beschloss Rin statt der schwarzen Winterbluse die weiße kurzärmlige für den Sommer drunter zu ziehen. Nun fiel auch ihr schwarzer Gürtel, welcher um ihre Hüfte geschlungen war, mehr auf. An diesem hatte sie nämlich ihr kariertes Täschchen mit den Schlüsseln und ihrem Edelstein befestigt, um es immer dabeihaben zu können.
„Jetzt ist es definitiv besser“, begutachtete sich die Oberschülerin stolz im Spiegel, „Aber diese Schleife ist einfach grauenvoll. Sowas steht mir irgendwie gar nicht.“
Missmutig nahm sie diese ab und überlegte was sie damit tun sollte. Zwar war die Uniform-Regelung an der Suzuki-Akademie recht locker, allerdings war es dennoch nicht gern gesehen nichts dergleichen zu tragen. Damit konnte man die Schüler nämlich ihres Jahrgangs zuordnen.
Normalerweise wäre das der Blauhaarigen völlig egal gewesen und sie hätte einfach getan was sie wollte. Allerdings hatte sie keine Lust auch noch von den Lehrern ausgeschimpft zu werden. Es reichte ihr bereits, dass sie von den Schülern gehänselt wurde.
Ein Seufzer entwich ihr und sie gab die Grübelei vorerst auf.
Freitag, 15. Mai 2015
Da für Rin nun kein Schwimmunterricht mehr stattfand, hatte sie bereits ziemlich früh Schulschluss. Das nutzte sie aus und meldete sich auch für diesen Tag beim Lacrosse-Training ab, um die gestrige Arbeit endlich fertig zu bekommen. Ihre Kollegin hingegen sollte heute in der Schule bleiben und dort aushelfen.
Mutterseelenallein saß die Blauhaarige also im Büro des Suzuki-Erben und war für einige Stunden in ihre Arbeit vertieft. Gegen späten Nachmittag legte sie dann eine Pause ein und wollte in die Küche, um sich einen kleinen Snack zu gönnen. Auf halbem Weg begegnete sie allerdings Kuro, welcher soeben seinen besten Kumpel in Empfang nahm. Akira wurde außerdem von einem jüngeren Mädchen mit dunkelroten langen Haaren, dessen Spitzen blau gefärbt waren, begleitet. Zudem trug sie schwarze kabellose Kopfhörer mit gelben Akzenten auf dem Kopf. Allerdings hatte sie diese nicht auf den Ohren, sondern dahinter. Beinahe wie eine Art Haarreif. Angezogen hatte sie sich ein weißes Shirt und eine blaue Hotpants. Darüber trug sie einen schwarzen Mantel mit gelben Verzierungen. Ihre Füße steckten in schwarzen Overknees und hohen dunkelroten Chucks. Unterm Arm schleppte sie zudem noch ein schwarz-gelbes Skateboard mit sich herum.
„Oh, hallo Rin“, wurde diese freudig von Akira begrüßt. Ebenfalls grüßte sie höflich und starrte unweigerlich zu dem jungen Mädchen an der Seite ihres Freundes.
Sofort bemerkte der Rotschopf den neugierigen Blick und erklärte: „Das ist Akari, meine kleine Schwester. Sie geht auf die Kirigaoka Mittelschule.“ „Jo“, hob die Jüngere zur Begrüßung nur die Hand. „Freut mich dich kennenzulernen“, antwortete die Blauhaarige überrascht.
Sie wusste überhaupt nicht, dass er eine Schwester hatte, da er etwas derartiges nie erwähnte. Dadurch fiel ihr nun auf, dass sie generell recht wenig über Akira wusste und fühlte sich mies, weswegen sie recht schnell die Flucht ergriff. Auch die Mittelschülerin verließ die Gruppe kurz darauf und zog alleine los. Nun waren die beiden Kumpel nur noch zu zweit in der Empfangshalle.
„Komm, lass uns hinsetzen. Das dumme Rumgestehe ist nervig“, machte der Schwarzhaarige eine signalisierende Handbewegung und die beiden begaben sich in einen der unzähligen großen Räume.
Es war ein modern eingerichtetes Wohnzimmer, in welchem sie sich auf einem großen Sofa niederließen. Die Sitzgelegenheit stand so, dass man problemlos auf den riesigen Fernseher schauen konnte, welcher auf einer großen Kommode stand. Ringsherum waren noch einige weitere offene Regale, in welchen man viele DVDs, Blu-rays und auch Bücher betrachten konnte. Damit es hier nicht so leblos wirkte, standen zudem noch einige Topfpflanzen verteilt herum. Auch das Licht war dimmbar, sodass man für eine angenehme Atmosphäre sorgen konnte. Neben dem Sofa gab es außerdem noch die Möglichkeit sich an den mittelgroßen Esstisch zu setzen, welcher mit farblich abgestimmten Tischdecken und Dekorationselementen super in den Raum passte.
Noch bevor die beiden jungen Männer ein intensiveres Gespräch starten konnten, wurde ihnen von einem der Dienstmädchen etwas zu trinken auf dem Couchtisch bereitgestellt.
„Na dann schieß mal los“, nippte Kuro an seinem Kaffee, „Du bist ja bestimmt nicht aus Langeweile hier.“ „Scharfsinnig wie immer“, kratzte sich der Rothaarige ertappt am Hinterkopf und rang sich ein gezwungenes Lachen ab.
Eine kurze Stille brach herein, ehe Akira endlich ansprach, was ihn zu belasten schien: „Es gibt in der Tat einen triftigen Grund warum ich dich um ein kurzes Treffen gebeten habe.“ „Und der wäre?“, musste der Suzuki-Erbe ihm alles aus der Nase ziehen. „Na ja, ich weiß nicht, ob du es schon mitbekommen hast, dass ich nun mit Rin zusammen bin“, kratzte er das Thema vorsichtig an. „Ist mir nicht entgangen“, ließ es den Schwarzhaarigen recht kalt, „Skye hatte deswegen den totalen Terror geschoben.“ „Bei dir etwa auch?!“, konnte es sein Kumpel nicht fassen.
Akira fand es unglaublich, dass der Grundschüler selbst seinen besten Kumpel damit belästigte. Er hatte doch nichts mit der Sache zu tun. Andererseits war es für ihn aber von Vorteil, weil er so eventuell eine größere Chance hatte, zu erfahren wer sein Konkurrent war.
„Ja, er ist komischerweise der Überzeugung, dass ich euch trennen muss“, schnaubte Kuro genervt. Der Rothaarige war davon ähnlich genervt, gleichzeitig aber auch besorgt: „Verstehst du wieso? Passen wir beide wirklich so schlecht zusammen?“ „Das ist absoluter Blödsinn. Skye ist ein kleines Kind und sieht die Welt mit vollkommen anderen Augen“, murrte der Ältere, „Es liegt nicht an ihm zu urteilen, wer von uns beiden besser zu dem Quälgeist passt.“
Sichtlicht verdutzt schaute ein blaues Augenpaar zum Suzuki-Erben herüber. Hatte er gerade richtig gehört?
„Skye findet, dass DU besser mit Rin zusammen sein solltest?“, hatten sich bereits Tränen vor Lachen in Akiras Augen gebildet.
Während der Schwarzhaarige schmollte, weil er in solch unnötige Konflikte geraten war, hielt sich sein Kumpel vor Lachen den schmerzenden Bauch. Ein großer Stein fiel ihm vom Herzen, da er nun beruhigt sein konnte, dass ihm so schnell keiner die Freundin ausspannen würde. Als der Grundschüler ihm zuvor klarmachte, dass es jemand anderen für Rin gäbe, war er total aufgewühlt und konnte kaum ruhig schlafen. Dass es sich dabei aber um Kuro handelte, war für ihn zwar ein Schock, aber hauptsächlich eine Erleichterung. Der Ältere hatte eine Verlobte und außerdem war sich Akira ziemlich sicher, dass sein Kumpel definitiv nicht auf seine Freundin stand.
Oder?
Das Lachen des Rotschopfes verstummte und er setzte eine ernste Miene auf: „Sag mal, da ist aber nichts dran oder?“ „Willst du mich eigentlich verarschen?“, fiel der Suzuki-Erbe aus allen Wolken, „Fängst du jetzt auch mit dem Schwachsinn an? Du weißt genau, dass ich nicht verstehe warum du diese Nervensäge so toll findest.“ „Beruhige dich“, bereute Akira augenblicklich seine Frage, „Die ganze Situation hat mich einfach nur ziemlich verunsichert und ich wollte alle Zweifel ausräumen. Abgesehen davon habe ich es noch nicht geschafft Rin vollkommen zu überzeugen.“ Der Schwarzhaarige verstand nicht so recht: „Wie meinst du das? Seid ihr nicht zusammen?“ „Irgendwie schon, aber irgendwie auch nicht. Sie scheint sich unsicher zu sein und wir haben bisher noch nichts von dem getan, was ein Pärchen normalerweise so macht“, versuchte der Jünger die Situation zu erklären. „Dann ändere das eben“, zuckte sein Kumpel nur mit den Schultern.
Was sollte er auch sonst großartig tun? Der Schwarzhaarige war kein Beziehungscoach und in die ganze Sache wollte er bestimmt nicht hineingezogen werden. Nicht noch mehr. Zumal ihn dieses Thema eigentlich echt nicht interessierte. Er hatte weitaus wichtigere Sorgen als die Lappalien eines High School Schülers. Immerhin musste er sich um das Familienunternehmen kümmern.
Mit dem Skateboard unter den Füßen zog Akari ihre Bahnen auf der Terrasse. Während sie auf ihre Verabredung wartete, musste sie sich ja schließlich irgendwie beschäftigen.
Gerade als sie eines ihrer Kunststücke versuchte auszuführen, fiel sie unsanft zu Boden und landete geradewegs vor Skye, welcher soeben aus dem Garten zurückkam.
„Wer bist du denn?“, fragte dieser neugierig.
Eine Antwort blieb jedoch aus. Stattdessen zogen einige Sekunden ins Land, in welchen das Mädchen wie versteinert wirkte, ehe sie plötzlich einen kurzen Schrei fahren ließ und aufsprang. Einige Schritte von dem Grundschüler entfernt stand die Rothaarige ihm gegenüber und hatte eine verteidigende Kampfhaltung eingenommen. Ihr Gesichtsausdruck war mehr als nur verschreckt. Sie wirkte, als hätte sie soeben dem Tod ins Auge geblickt und die größte Angst ihres Lebens.
Der Schwarz-Blauhaarige hingegen wusste nicht was gerade passierte und schaute sein Gegenüber ziemlich geschockt an. Mit dieser Reaktion war nun wirklich nicht zu rechnen. Was hatte sie bloß?
„I-Ist alles okay? Du blutest am Knie“, stotterte der Jüngere und ging vorsichtig einen Schritt auf die Mittelschülerin zu. „Bleib wo du bist!“, wich sie ein kleines Stückchen zurück, um den Abstand zu wahren, „Wer bist du?!“
Mit fester Stimme hielt sie mutig ihrer Angst stand und versuchte an Informationen zu gelangen.
„Ähm… Skye?“, antwortete Gefragter vorsichtig.
Er verstand absolut nicht was gerade vor sich ging, wodurch in ihm eine gewisse Unsicherheit und Angst ausgelöst wurde. Was passierte hier? Warum hatte dieses Mädchen eine solche Abwehrhaltung eingenommen?
„Lüg mich nicht an! Dein Name ist Sora! Hab ich nicht recht?!“, brüllte Akari ihn an. „W-Woher…?“, kroch in dem Kleinen die Angst empor.
Die Situation in der er sich befand wurde immer eigenartiger. Passend dazu begann nun auch der Horizont sich zu trüben und graue Wolken zogen langsam über den heiteren Frühlingshimmel.
Es verstrichen einige Sekunden, welche sich für die beiden Regungslosen wie eine Ewigkeit anfühlten.
Dass der wahre Name des Grundschülers „Sora“ war, konnte man mittlerweile recht leicht rausfinden. Immerhin wurde er als „Sora Suzuki“ in der Schule gemeldet. Allerdings konnte er keinen Zusammenhang mit der Rothaarigen finden.
„Sag mir woher du kommst und was du hier willst!“, forderte das Mädchen.
Was sollte Skye darauf antworten? Und was wusste die Mittelschülerin über ihn? Sollte er ihr erklären, dass er ein Verwandter von Kuro war, oder eher die Sache mit dem Portalwächter? Aber nichts davon ließ ihn gefährlich oder angsteinflößend wirken. Die Reaktion der Rothaarigen machte also in keinerlei Hinsicht irgendwelchen Sinn.
„Was ist denn hier los?“, kam eine verdutzte Rin aus dem Haus und stand nun mitten im Gefecht.
Neugierig und verwirrt zugleich knabberte sie an einem der Onigiri, welche sie im Schlepptau hatte. Auch Haru kam zum Vorschein und stellte ein Tablett mit weiteren Köstlichkeiten auf den Terrassentisch.
„Halte Abstand von ihm!“, brach Panik in Akari aus, „Dieser Typ ist gefährlich!“
Als ginge es um Leben oder Tod, versuchte das Mädchen Rin von dem Jüngeren fernzuhalten. Da die Blauhaarige genauso wenig verstand, wie der Grundschüler, lief sie treudoof auf diesen zu, wuschelte ihm durchs Haar und meinte schließlich: „Skye ist nur gefährlich stur, sonst nichts.“ „Hey!“, beschwerte sich dieser und seine Anspannung war plötzlich wie weggeblasen.
Die Rothaarige folgte nur verdutzt dem Geschehen, ehe sie von Haru einen Klapps auf den Hinterkopf erntete: „Du und deine Verschwörungstheorien. Hör doch auf immer solchen Mist von dir zu geben. Sei doch einfach mal normal, Ri-chan.“
Kurz stockte Zurechtgewiesene, ehe sie dagegenhielt: „Ich bin doch normal. Abgesehen davon stimmt mit dem Kerl tatsächlich etwas nicht. Er heißt überhaupt nicht Skye.“ „Schonmal was von Spitznamen gehört?“, erwiderte ihr Gegenüber.
Langsam aber sicher besann sich der Rotschopf wieder. Die Argumente schienen ihr recht schnell ausgegangen zu sein, wodurch sich ihre Anspannung endlich wieder löste.
„Was ist denn eigentlich mit deinem Knie passiert?“, fiel Rin die blutende Stelle unter der zerrissenen Socke auf. „Das passiert manchmal“, winkte die Mittelschülerin nur ab, „Obwohl es ärgerlich ist, dass ich schon wieder Overknees zerfetzt habe.“
„Jetzt kommt, ich habe Onigiri für alle gemacht“, wechselte der Assistenzkoch das Thema und beorderte alle zum Tisch.
Die grauen Wolken lichteten sich allmählich wie von Geisterhand und gaben wieder den Blick auf die warme Frühlingssonne frei. Auch die ganzen negativen Gefühle verflogen so langsam. Ein angenehmes Wetter für einen kleinen Snack im Freien, den sich die vier nun wirklich verdient hatten. Es wurde noch zu einem gemütlichen Beisammensitzen, in welchem sich die Gruppe etwas näher kennenlernte. Wie unschwer zu erkennen war, kannte Haru die Rothaarige bereits. Sie waren ziemlich gute Freunde und gingen sogar in die gleiche Klasse.
Während sich die Schüler noch eine ganze Weile miteinander unterhielten, wäre Rin beinahe entgangen, wie zwei leuchtend blaue Schmetterlinge im Frühlingswind tanzten, ehe sie genauso schnell wieder verblassten. Gleichzeitig hörte sie die ihr vertrauten Worte „I am thou. Thou art I“, welche signalisierten, dass ein neuer Link geschlossen wurde. Dem Ausschlussverfahren zufolge musste es Akari sein, mit welcher die Blauhaarige eine Verbindung eingegangen war.
Das brachte die Oberschülerin kurz dazu, über Akiras kleine Schwester nachzudenken. Sie fragte sich noch immer, warum die Jüngere so misstrauisch dem Schwarz-Blauhaarigen gegenüber war. Dazu musste es doch einen Grund geben. Auch glaubte Rin nicht, dass dieses Misstrauen nun einfach komplett verschwunden war. Zumal auch sie selbst dadurch begann zu überlegen was der Grund gewesen sein könnte. Immerhin wusste keiner etwas über den selbsternannten Portalwächter, sodass es eigentlich ziemlich schwer war ihm blind zu vertrauen.
Wie die Stipendiatin später über ihr Horo herausfand, war ihr neuer Social Link mit Akari als ‚II. High Priestess‘, die Hohepriesterin betitelt. Zudem stellte sie fest, dass da außerdem noch Harus Link war, welcher sich auf Stufe zwei erweitert hatte.
Velvet Room
Wie so oft in letzter Zeit, hatte ich mal wieder ein böses Erwachen in dieser Folterkammer. Unfreiwillig. Ja, diese sanfte Arie und der angenehm reine Duft nach frischem Regen waren sehr beruhigend, aber das knöchelhohe Wasser machte all das wieder zunichte.
Ängstlich rettete ich mich wieder auf den kleinen Vorsprung, um irgendwie dem Nass zu entgehen. Anschließend schaute ich mich um. Was wollte Ignor nun schon wieder von mir? Mein verdutzter Blick, blieb am leeren Stuhl hängen, welcher an den Tisch herangeschoben war. Er war nicht da.
Verwirrt schaute ich mich um, da ich ja schließlich von irgendwem gerufen worden sein musste. Natürlich war es die Assistentin, welche mit verschränkten Armen breitbeinig vor mir stand und mich ansah: „Lange nicht gesehen. Ich hoffe du hast dein Versprechen nicht vergessen.“
Der unfreundliche Unterton gefiel mir gar nicht, aber anstatt eine Diskussion vom Zaun zu brechen, war ich eher damit beschäftigt herauszufinden was genau sie meinte.
Dann fiel es mir wieder wie Schuppen von den Augen. Bei meinem letzten Besuch hatte ich im Austausch gegen Informationen meine Hilfe angeboten ohne überhaupt zu wissen um was genau es ging. Jetzt hatte ich den Salat.
„Wir treffen uns einfach am Sonntag“, machte sie Pläne. Ich war allerdings immer noch ein wenig planlos: „Und was machen wir dann? Wobei brauchst du Hilfe?“ „Als Mensch von da draußen, hast du Wissen, was wir von hier drinnen nicht haben“, redetet die Platinblonde um den heißen Brei, „Deine Aufgabe ist es nun dieses Wissen zu übermitteln.“ „Okay…?“, drückte meine Antwort meine Verwirrung sehr gut aus, „Und was genau willst du wissen?“ „Familie“, entgegnete mir das Mädchen mit einem Wort. Mein verdutzter Gesichtsausdruck reichte wohl aus, damit sie weiter ins Detail ging: „Ich will wissen wie es ist eine Familie zu haben. Fürs erste teilst du dein Wissen über Großmütter.“
Noch immer war ich sichtlich irritiert. Ich hatte mit so einigem gerechnet, aber nicht mit etwas derartigem.
„Wir treffen uns am Sonntag um 15 Uhr vor der Zentralbibliothek. Sei pünktlich!“, befahl mir die Jüngere. „Das ist doch total ironisch. Wie soll ICH dir denn was über Familie erzählen?“, stammelte ich, die keine besaß.
Natürlich könnte ich etwas über Rabenväter oder Brüder erzählen, aber da würde es auch schon enden. Ich hatte weder Großeltern, noch Cousins, Tanten oder Onkel. Da war niemand und es hatte mich bisher auch nie gestört. Ich war so aufgewachsen und vermisste es auch nicht jemand derartiges in meinem Leben zu haben. Eigentlich war es sogar ganz angenehm, denn man musste nicht ständig auf irgendwelchen Familienfeiern aufkreuzen. Andererseits bekam man so auch kaum Geschenke zum Geburtstag. Es hatte seine Vor- und Nachteile. Aber da hatte ich bisher nur selten drüber nachgedacht. Das meiste was ich wusste, hatte ich aus Erzählungen von Ami oder anderen Klassenkameraden aufgeschnappt.
„Ich bin mir sicher, dass du einiges an Wissen besitzt und demnach alles erklären und zeigen kannst. Deswegen treffen wir uns ja auch in deiner Welt“, beharrte die Assistentin darauf, „Also dann. Wir sehen uns.“
Kurz darauf wurde es auch schon schlagartig dunkel. Wie jedes Mal kam ich natürlich nicht dagegen an und fiel wieder in eine Art Bewusstlosigkeit.