Kapitel 33 - Versöhnt... oder doch nicht?


 

 

Dienstag, 12. Mai 2015

 

 

 

Der zweite Tag des Examens brach heran und dieses Mal war Rin definitiv ausgeschlafener. Außerdem hatte sie sich heute vorgenommen endlich mit Kuro zu sprechen, zwecks des Streites und ihres Jobs. Wurde sie nun gekündigt oder nicht? Flog sie nun von der Schule oder nicht? Am gestrigen Tag machte er absolut keine Anstalten, um ihr irgendetwas zu signalisieren. Eher ignorierte er sie sogar und war maximal in die Prüfungen vertieft. In den Pausen war er dann wieder von Schülerinnen belagert worden, sodass die Blauhaarige überhaupt nicht an ihn herankam. Eigentlich wollte sie auch überhaupt nicht mit ihm sprechen und war in gewisser Weise sogar froh über seine ignorante Art. Allerdings kam sie dadurch auf keinen grünen Zweig und blieb auf Ewig im Ungewissen. Es galt nun also, ihn heute irgendwie in den Pausen abzufangen.

 

 

 

Nach unzähligen gescheiterten Versuchen, war bereits die Mittagspause herangebrochen und das Mädchen versuchte erneut ihr Glück. Ihr Bento ignorierend, heftete sie sich an die Fersen des Schwarzhaarigen, welcher von Schülerinnen umgeben aus dem Klassenzimmer lief. Mit großem Abstand folgte sie dem Schülerhaufen, welcher sich erst auflöste, als der junge Mann erwähnte auf die Toilette zu müssen. Da er wirklich dorthin ging, nutzte Rin die Gelegenheit, um sich ebenfalls zu erleichtern.

 

Kaum war sie wieder zurück im Flur, wartete sie ein paar Minuten unauffällig vor den Toiletten, in der Hoffnung den Suzuki-Erben somit abfangen zu können. Leider erschien er einfach nicht mehr, weswegen der Blauhaarigen schnell klar wurde, dass sie ihn verpasst hatte. Aber wo war er hingegangen? Vermutlich in die Cafeteria, wo er wieder von Schülerinnen belagert wurde.

 

Schwer schnaubte das Mädchen, ließ die Schultern hängen und gab es auf an ihn heranzukommen. Stattdessen trottete sie ins Klassenzimmer zurück, um endlich ihr Mittagessen zu essen, welches bereits auf ihrem Schulpult wartete.

 

Dort angekommen wartete aber leider eine böse Überraschung auf die Stipendiatin. Die erwartete Bento-Box befand sich plötzlich nicht mehr auf ihrem Tisch. Sie schien heruntergefallen zu sein und war in Folge dessen aufgegangen und nun lag der Inhalt über dem Fußboden verteilt.

 

„Wer war das?!“, ballte Rin ihre Fäuste und sah sich im Raum um.

 

Einige ihrer Mitschüler sahen zu ihr herüber, die meisten aber ignorierten sie. Eine Antwort jedoch blieb völlig aus.

 

Tief atmete das Mädchen einmal ein und langsam wieder aus, um sich wieder zu beruhigen. Sie wusste immerhin nicht, ob ihr Mittagessen mit Absicht auf dem Boden lag oder nicht. Auch wenn sie sich eigentlich ziemlich sicher war, dass es bestimmt kein Unfall war. Aber da sie den Schuldigen nicht ausmachen konnte und ihr auch keiner helfen wollte, blieb ihr für den Moment nichts anderes übrig, als es dabei zu belassen. Schnell entsorgte sie das zermatschte Mittagessen, ehe sie zum nächsten Automaten ging, um sich dort etwas zu kaufen.

 

„Das ist doch Wucher“, konnte die Blauhaarige nicht fassen wie teuer selbst der Snackautomat war.

 

Diese Worte sprach sie wohl etwas zu laut aus, denn von einigen vorbeilaufenden Schülern wurde sie deshalb aufgezogen: „Wie arm bist du denn, dass du dir nicht mal das leisten kannst?“ „Stipendiaten sind hier doch immer arm wie eine Kirchenmaus“, kicherte ein anderer, „Die haben hier einfach nichts verloren.“ „Ja, echt so. Die will sich doch bestimmt nur einen Reichen suchen, um ein gutes Leben zu haben. Verachtenswert“, wurde gemutmaßt.

 

„Hey! Nur weil ich keine Kohle zugeschmissen bekomme, werde ich mir sicher keinen von euch reichen Idioten suchen!“, kochte es in Rin über, „Hört auf so einen Mist zu verbreiten!“

 

Zwar hatte sie nun ihre Meinung gesagt, wurde aber wieder ignoriert. Noch eher war es sogar ein verachtendes kurzes Grinsen der Vorbeigehenden, welche ihr kein Wort zu glauben schienen.

 

Kaum waren die Schüler um die nächste Ecke gebogen, wandte sich Rin wieder dem Automaten zu. Mit knurrendem Magen kaufte sie schließlich wortlos das Günstigste, um überhaupt etwas im Magen zu haben. Mit ihrem 1000 Yen (ca. 8 Euro) Melonpan, machte sie sich dann schließlich auf den Weg, um einen ungestörten Ort zum Essen zu finden. Sie konnte im Moment einfach keine Menschenseele mehr ertragen. Da aber überall Schüler waren, entschloss sie kurzerhand einfach, sich nach draußen hinter den nächsten Busch an die Hauswand zu setzen. Dort würde sie niemals jemand finden und sie hatte für den Rest der Pause ihre Ruhe. Zwar waren an dieser Hauswand einige Fenster, aber da sie darunter saß, konnte sie dennoch niemand sehen.

 

Schwer schnaubend öffnete die Blauhaarige ihr Mittagessen und biss genüsslich in das süße, weiche Brötchen. Endlich hatte sie ihre Ruhe und konnte, wenn auch nur kurz, durchschnaufen. Die Prüfungen waren wirklich schwer und strengten Rin enorm an. Dazu noch ihre üblichen Probleme mit den anderen Schülern und ihr Tag konnte eigentlich nicht schlimmer werden.

 

Plötzlich wurde das Fenster über ihr zur Seite geschoben und jemand streckte seinen Kopf heraus. Eine bekannte Stimme erklang daraufhin: „Warum hockst du im Dreck? Für dich muss man sich echt schämen.“

 

Ertappt zuckte das Mädchen zusammen und schaute nach oben. Natürlich handelte es sich bei dem Meckernden um keinen geringeren als Kuro. Aber warum sprach er sie so plötzlich an, obwohl er sie doch die ganze Zeit ignoriert hatte? Und wie zu Teufel hatte er sie in ihrem Versteck gefunden?

 

„Ach lass mich in Ruhe“, schnaubte die Blauhaarige jammernd auf.

 

Sie wollte zwar mit ihm sprechen, aber auf seine zurechtweisende Art hatte sie in diesem Moment absolut keine Lust. Der Tag konnte mittlerweile wirklich nicht mehr schlimmer werden.

 

„Warum bist du mir dann den ganzen Tag hinterhergerannt?“, stützte er sich mit seinem Ellenbogen auf dem Fensterrahmen ab und legte seinen Kopf auf der Hand ab.

 

Selbstgefällig grinste er die Jünger an und wartete auf eine plausible Erklärung. Diese allerdings sah ihn nur geschockt an. Ihr war nicht bewusst, dass er ihre Anwesenheit wahrgenommen hatte, denn sie hielt extra immer ein ganzes Stück Abstand von ihm.

 

„Wie kommst du auf so einen Mist?“, wendete sich Rin beleidigt von ihm ab und biss demonstrativ ein großes Stück ihres Melonpans ab. „Na ja, ich bin ja nicht blind“, erklärte der junge Mann, „Stehst du etwa auf mich oder warum verfolgst du mich?“ Er wusste wie er die Aufmerksamkeit des Mädchens wieder auf sich lenkte, denn diese fuhr nun energisch herum: „Ganz bestimmt nicht! Warum sollte ich so einen selbstverliebten Idioten wie dich mögen?!“ „Aber wenn du mir keinen anderen sinnvollen Grund nennen kannst, dann muss ich sowas wohl annehmen“, grinste er noch immer ziemlich selbstgefällig.

 

Der Schwarzhaarige wusste, dass er seine Mitschülerin soeben in der Hand hatte und es machte ihm scheinbar tierischen Spaß sie mal wieder auf die Palme zu bringen.

 

„Ich wollte dich nur was fragen“, wendete sie ihren Blick wieder ab und knabberte verlegen an dem Rest ihres Mittagessens. Erwartungsvoll aber auch leicht irritiert schaute Kuro zu ihr herunter: „Was gibt’s denn so Wichtiges, was du persönlich besprechen möchtest?“

 

Plötzlich stoppte sie mit der Knabberei an dem Brötchen und erstarrte erschrocken. War sie echt so dumm? Erst jetzt realisierte sie, dass sie sich gar nicht so hätte anstrengen brauchen. Wozu hatte sie nun ein Smartphone, wenn sie es doch nicht nutzte? Sie hätte ihn einfach anrufen oder ihm schreiben können, um ihre Frage zu stellen.

 

„Hallo?“, erwartete der Ältere noch immer ungeduldig eine Antwort.

 

Diese blieb jedoch aus, denn das Klingeln der Schulglocke ertönte, welches signalisierte, dass die Pause vorbei war. Schnell erhob sich Rin daraufhin und machte Anstalten zu gehen.

 

„Komm einfach nach der Schule ins Direktorat. Dort hast du alle Zeit der Welt mich mit sinnlosen Fragen zu löchern“, erhob auch er sich wieder aus seiner gebeugten Position und streckte sich, „Außerdem hab ich dann auch gleich noch eine kleine Aufgabe für dich. Prüfungen hin oder her, aber mit fehlt gerade einfach das Personal.“

 

Mit diesen Worten schob er das Fenster wieder zu und machte sich auf den Weg zurück ins Klassenzimmer. Die Blauhaarige harrte noch kurz aus und starrte ihm hinterher. Was hatte er damit gemeint? Und überhaupt war es merkwürdig, dass er sich benahm als sei nichts vorgefallen. Immerhin war er ziemlich hart zu ihr gewesen und hatte sie mit recht unschönem Ton gefeuert. Nicht, dass sie unbedingt gefeuert werden wollte, aber eine Entschuldigung wäre nun definitiv angebracht gewesen. Aber wahrscheinlich war das bei ihm zu viel verlangt.

 

Mit einem schweren Seufzer machte sich Rin nun auch endlich auf den Weg. Es brachte sie ja doch nicht weiter sich unnötig aufzuregen.

 

 

 

Das letzte Examen für den Tag war geschrieben und die Schule war endlich aus. Erschöpft streckte sich die Stipendiatin und packte ihre Sachen zusammen, um sich ins Zimmer des Rektors zu begeben. Dabei trödelte sie ein wenig, da sie keine Lust hatte schon wieder als Verfolgerin von Kuro dazustehen.

 

Auf halben Weg knurrte ihr Magen erneut und sie hielt sich die Hand vor diesen. „Na toll“, murmelte Rin, „Dieses blöde Melonpan hat überhaupt nicht sattgemacht.“

 

Lustlos klopfte sie schließlich an die Tür des Raumes, in welchem der Suzuki-Erbe auf sie wartete. Ohne ein „herein“ abzuwarten, trat sie einfach ein, nur um im selben Moment kurzzeitig zu erstarren. Erschrocken weiteten sich ihre Augen, als sie einen jungen bebrillten Mann an einem großen Schreibtisch sitzen sah. Dieser wirkte selbst recht überrascht, kam aber leider nicht dazu etwas zu sagen, denn schlagartig verbeugte sich die Blauhaarige mit einer Entschuldigung und verließ das Zimmer. Sie hatte sich wohl in der Tür geirrt und ist einfach in Gedanken versunken irgendwo reingerannt.

 

Vollkommen verwirrt prüfte sie daraufhin das Schild, welches über dem Eingang angebracht war. Wo war sie da bloß reingelaufen? Noch irritierter musterte sie nun die Beschriftung, welche eindeutig klarmachte, dass es sich hierbei um das Direktorat handelte. Aber wo war Kuro? Und wer war dieser Brillentyp?

 

„Hä?“, fühlte sich die Stipendiatin veralbert. Was war hier bloß los?

 

Plötzlich ging die Tür, vor welcher sie immer noch stand, auf und der gesuchte Schwarzhaarige trat in Erscheinung: „Was treibst du da, du Hohlbirne?“ Genervt schnipste er der perplexen Blauhaarigen gegen die Stirn, woraufhin sie wieder ins Hier und Jetzt zurückkam: „Au! Was soll das?!“ „Das könnte ich dich auch fragen“, murrte er, „Komm endlich rein und steh da nicht so blöd rum!“

 

Unter Meckern betrat sie schließlich den Raum und schaute sich um. Ja, sie war wirklich im richtigen Zimmer. Aber wer war dieser Kerl mit der Brille? Und wo war er so plötzlich hin verschwunden?

 

Während sie in ihren Gedanken versunken war, konnte sie beobachten wie sich der junge Mann an den Schreibtisch setzte, mit einer Hand irgendwelche Unterlagen griff und mit der anderen eine Brille auf seine Nase schob. Wie Schuppen fiel es dem Mädchen schließlich von den Augen. Das war nun wirklich nicht abzusehen, dass der Schwarzhaarige etwas derartiges benötigte. Kein Wunder, dass sie ihn für eine andere Person hielt.

 

Verstehend klatschte sie sich die flache Hand an die Stirn und brachte nur ein langgezogenes „ach so“ heraus.

 

„Warum brauchst du heute für alles eine Extraeinladung?“, meckerte der Ältere, während er seinen Blick nicht von dem Schriftstück erhob, „Komm endlich her und setz dich.“

 

Genervt tat sie was ihr befohlen wurde und nahm auf einem der beiden Sessel vor dem Schreibtisch Platz.

 

„Und? Was ist nun dein Anliegen?“, musste Kuro ihr alles aus der Nase ziehen.

 

Dieses Mal ließ er von seinen Unterlagen ab und sah die Blauhaarige erwartungsvoll an. Rin hingegen überlegte kurz was sie antworten sollte, kam aber recht schnell auf eine gute Frage: „Was hast du da eigentlich gedreht? Ich musste nicht mehr am Schwimmunterricht teilnehmen.“ „Wie kommst du darauf, dass ich das war?“, kam direkt eine Gegenfrage. „Du hast hier jede Menge Einfluss und außerdem scheinst du darüber nicht sonderlich überrascht zu sein. Also wusstest du es offensichtlich bereits vorher“, erklärte die Stipendiatin. Geschlagen seufzte der junge Mann und lehnte sich in seinem Stuhl zurück: „Ach was soll’s. Ja, das hast du mir zu verdanken. Gern geschehen.“

 

Sein arroganter Unterton verlangte indirekt ein „Danke“ seines Gegenübers. Obwohl Rin das bewusst war, ignorierte sie es aber. Sie war zu stur, um sich zu bedanken und der festen Überzeugung, dass er es einfach nicht verdiente. Nicht, bevor er sich nicht für sein Fehlverhalten entschuldigt hatte.

 

„Und warum hast du das gemacht?“, stellte das Mädchen erneut eine Frage. „Ist das relevant?“, wollte der Suzuki-Erbe das Gespräch offensichtlich nicht vertiefen, „Ich hab dir eben einen Gefallen getan. Freu dich doch einfach.“ „Ja ich finde das ziemlich relevant, denn du tust keine Gefallen“, traf den Älteren ein kritischer Blick, „Du hattest sogar darauf beharrt, dass ich am Schwimmunterricht teilnehmen muss. Warum hast du deine Meinung geändert?“

 

Genervt verschränkte der junge Mann seine Arme vor der Brust und sah zur Seite. Ein leichter Rotschimmer legte sich über seine Wangen und man konnte ihm deutlich seine Verlegenheit ansehen. Es passte ihm absolut nicht, dass die Oberschülerin so in diesem Thema herumstocherte. Er würde ihr definitiv niemals den wahren Grund für seine Handlung nennen. Das wäre ihm im Endeffekt viel zu unangenehm. Außerdem müsste er ihr somit verraten, dass er sich mit ihrem Bruder unterhalten hatte und nun so etwas wie Mitgefühl für die Angst des Mädchens aufbrachte. Ganz zu schweigen davon, dass er vermutlich heftig von ihr angemeckert werden würde, wenn sie jemals erfahren würde, dass er Saito in die Schule bestellt hatte.

 

Ein Schnauben entwich Kuro und er suchte nach einer zufriedenstellenden anderen Antwort: „Du hast deine Kräfte nicht unter Kontrolle und verletzt am Ende nur deine Mitschüler. Abgesehen davon habe ich auch nichts davon, wenn auffliegt, dass du besondere Fähigkeiten hast.“

 

Verstehend nickte die Stipendiatin. Das machte wirklich Sinn.

 

„Zufrieden? Dann habe ich jetzt einen Botengang für dich“, murrte der Ältere. „Warum sollte ich das tun?“, verschränkte nun Angesprochene die Arme vor der Brust und sah beleidigt zu Seite, „Immerhin hast du mich gekündigt! Also mach deine Arbeit gefälligst selbst!“ „Wann soll das gewesen sein, huh?! Hast du ein Kündigungsschreiben bekommen? Bist du von der Schule geflogen? Oder aus dem Wohnheim? Nein!“, nannte der junge Mann mit verstimmtem Ton einige Beispiele, die das Gegenteil belegten. „Willst du mich verkohlen?!“, sprang die Blauhaarige auf und stützte sich mit den Händen auf dem Pult ab, „Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe und bereue ihn! Aber dein Verhalten deswegen ist einfach unentschuldbar! Und das willst du nun einfach unter den Teppich kehren?! Nicht mit mir!“

 

Daraufhin stapfte sie wutentbrannt aus dem Raum und knallte die Tür hinter sich zu. Im selben Moment rannte sie Momiji über den Haufen, welche unmittelbar davorstand.

 

„Uwah, tut mir leid“, entschuldigte sich Rin und die beiden Mädchen rappelten sich wieder auf.

 

Vorsichtig lugte die Blau-Grünhaarige daraufhin nach links und rechts den Gang entlang, um zu überprüfen, ob jemand in der Nähe war. Nachdem sie realisierte, dass keiner in Sichtweite war sprach sie: „Mir tut es auch leid. Ich wollte eigentlich zu Suzuki-kun und habe euch dann bis in den Flur streiten hören, weswegen ich hier stehengeblieben bin.“ Die Blauhaarige wusste nicht recht was sie darauf sagen sollte und schwieg erstmal, ehe ihre Kollegin wieder das Wort ergriff: „Ich habe euch belauscht. Das tut mir wirklich leid.“

 

Entschuldigend verbeugte sich Momiji. Der Stipendiatin hingegen war das eher unangenehm: „Ach was, hör auf dich zu entschuldigen. Wir haben ja auch laut genug gestritten, sodass es jeder hätte hören können.“ „Auch wieder wahr“, lachte die Blau-Grünhaarige, „Aber ich verstehe wirklich nicht warum ihr nicht miteinander klarkommt.“ Schief grinsend sah die Blauhaarige ihr Gegenüber an: „Ich auch nicht. Aber das ist mir eigentlich auch egal.“

 

Damit war das Gespräch beendet und das Mädchen machte sich auf den Weg zurück ins Wohnheim. Ihre Kollegin hingegen klopfte an die Tür des Rektorats und trat ein. Sie legte wortlos einige Papiere auf Kuros Schreibtisch, welcher sich kurz bedankte und dann auch schon wieder in seine Arbeit vertieft war. Gerade als die Jüngere die Tür zum Gehen öffnen wollte, stoppte sie vorher und drehte sich nochmal kurz zum Schwarzhaarigen um: „Suzuki-kun?“ „Hm?“, kam es nur knapp zurück. Tief atmete sie daraufhin ein und nahm all ihren Mut zusammen: „Das war kindisch.“

 

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen verließ sie das Zimmer schnellstmöglich und ein verdatterter junger Mann blieb zurück.

 

 

 

Gegen Abend saß Rin an ihrem Schreibtisch im Wohnheim und hatte allen möglichen Lernstoff vor sich ausgebreitet. Sie hatte vergebens versucht noch etwas für die Prüfungen zu lernen, endete schlussendlich aber mit einem Manga. Gebannt las sie darin, als es plötzlich an ihrer Tür klopfte.

 

„Wer kommt denn jetzt?“, fragte sich das Mädchen und bewegte sich zur Tür, „Vielleicht Momiji?“ Zügig machte sie auf und sah verschreckt in ein gelbbraunes Augenpaar: „Was willst du hier?“ „Darf ich reinkommen?“, kam es mit verstimmtem Unterton als Gegenfrage.

 

Es war Kuro, welcher soeben bei der Blauhaarigen aufgeschlagen war. Ziemlich untypisch für ihn, dass er einfach zu ihr kam. Normalerweise zitierte er sie immer sonst wohin, wenn er etwas von ihr wollte.

 

Einen Schritt ging die Stipendiatin zu Seite und signalisierte somit, dass er eintreten durfte. Wortlos tat er dies auch und schaute sich neugierig im Raum um. Sein Blick blieb direkt an der Pinnwand hängen, welche auf dem Schreibtisch stand und er setzte sich ungefragt auf den Stuhl davor. Da Rins Platz nun vergangen war, hockte sie sich einfach auf ihre Bettkannte und beobachtete missmutig sein Verhalten.

 

„Wer ist das denn alles auf den Bildern?“, schien der Schwarzhaarige nicht zum Thema seines eigentlichen Besuchs kommen zu wollen.

 

Da das Mädchen absolut keine Lust hatte mit ihm darüber zu reden, schwieg sie einfach. Es ging ihn sowieso nichts an, denn die Fotos waren ihre eigene Privatsache. In Erwartung einer Antwort drehte er sich zur Oberschülerin herum, nur um festzustellen, dass er vermutlich keine bekäme. Ihrer Reaktion nach zu urteilen schien sie mächtig sauer zu sein und wollte keinen Smalltalk halten. Der Suzuki-Erbe bemerkte das recht schnell, seufzte und stand wieder vom Stuhl auf. Stattdessen setzte er sich neben seine Assistentin auf die Bettkante. Für ihren Geschmack wohl etwas zu nah, denn sie rutschte ein wenig von ihm weg. Kuro verärgerte diese Rektion zwar, dennoch sagte er nichts dazu.

 

Er atmete einmal tief ein und wieder aus, bevor er endlich Worte fand: „Es tut mir leid.“ „Eh?!“, zuckte die Blauhaarige verschreckt zusammen.

 

Was sollte das denn werden? Seit wann konnte der Kerl sich entschuldigen? Meinte er das ernst?! So viele Fragen schwirrten in ihrem Kopf und sie wusste gar nicht genau wie sie darauf reagieren sollte.

 

„Das war wirklich nicht okay von mir dich so anzugehen“, starrte der junge Mann verlegen zum Boden, „Das soll jetzt keine Ausrede sein, aber es ist jedes Jahr das gleiche Drama an meinem Geburtstag und ich stehe immer unter Hochspannung, weil alles perfekt laufen muss. Von mir wird das alles erwartet und ich kann den Tag weder genießen noch entspannen. Da hat man schonmal eine kurze Zündschnur.“

 

So langsam verstand das Mädchen ihn etwas besser und verspürte kurzzeitig sogar ein wenig Mitleid mit ihm, wollte sich das aber nicht eingestehen. Sein Verhalten ihr gegenüber war aber dennoch alles andere als okay gewesen.

 

„Es tut mir wie gesagt sehr leid. Auch, dass ich das Ganze einfach so abtun wollte“, war der Suzuki-Erbe zum ersten Mal so richtig ehrlich zu Rin, „Aber trotz all dem was ich gesagt habe, möchte ich nicht, dass du aufhörst für mich zu arbeiten. Ich meine, du könntest schon etwas effizienter sein, aber eine große Hilfe bist du trotzdem. Und mir mangelt es so sehr an Personal. Jetzt ist auch noch Ruri ausgefallen und in der Schule häuft sich die Arbeit.“

 

Trotz seiner beiläufigen Kritik, nahm die Blauhaarige es ihm dieses Mal nicht krumm und blieb ruhig. Eher war sie ziemlich überrascht darüber, dass er so ehrlich auf sie zukam. Irgendwie tat es ihr nun ziemlich leid, dass sie sich ebenfalls nicht sehr nett verhalten hatte. Bedrückt zog sie die Beine heran und umschlang sie mit ihren Armen. Ihren Kopf bettete sie auf den Knien und sie starrte Löcher in die Luft.

 

Ziemlich leise und kleinlaut kam dann von ihr zur Antwort: „Ich wünsche dir zum Geburtstag alles Gute nachträglich.“

 

Was anderes fiel ihr nicht ein. Sie bereute es schon die ganze Zeit, dass sie ihm nie gratuliert hatte und wollte das eigentlich schon lange nachholen. Endlich hatte sie es geschafft. Zur Antwort bekam sie nur ein Kopftätscheln und Kuro lächelte sie freundlich an.

 

„Ich mache deinen Botengang morgen, okay?“, war sie immer noch recht kleinlaut. „Brauchst du nicht. Es ist bereits erledigt“, erklärte er, dass alles okay sei. Dieses Mal vergrub sie ihren Kopf und nuschelte leise: „Tut mir leid.“

 

Es war nicht zu übersehen, dass sie sich für ihr Verhalten nun selbst schämte. Zwar war der Schwarzhaarige nicht unschuldig, allerdings hätte das Mädchen auch etwas erwachsener reagieren können.

 

„Ist schon okay. Vermutlich hätte an deiner Stelle jeder so gehandelt“, hatte der Ältere vollstes Verständnis.

 

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, flatterte ein kleiner blauer Schmetterling um ihn herum. Die Blauhaarige konnte ihn nur aus dem Augenwinkel kurz erblicken, ehe er wieder verblasste und verschwunden war. Der Social Link, welchen sie mit ihrem Gegenüber geknüpft hatte, war wohl auf die dritte Stufe aufgestiegen.

 

Da die Oberschülerin deswegen ein wenig aus dem Konzept gebracht wurde, schwieg sie einfach und eine unangenehme Stille brach herein. Diese wurde allerdings durch das plötzliche Knacken einiger Äste und das Rascheln der Blätter im Baum vor Rins Fenster unterbrochen. Sofort wanderten die Blicke der beiden Anwesenden hinüber zu den Geräuschen. An einem der gekippten Fenster konnten sie schließlich Skye erkennen, welcher scheinbar fast vom Baum gefallen war. Er hing in seiner menschlichen Form an einem Ast ziemlich nahe der Fensterfront und sah in den Wohnraum hinein.

 

Schnell sprangen die beiden Älteren gleichzeitig auf, um das Fenster komplett zu öffnen und den Grundschüler hereinzulassen. Obwohl er eigentlich fliegen konnte, machten sie sich Sorgen, dass er vielleicht doch herunterfallen könnte.

 

„Schnell, gib mir deine Hand“, hing die Blauhaarige selbst halb aus der Öffnung und versuchte ihn zu erreichen. Kuro hingegen zog das Mädchen am Kragen zurück und meckerte sie an: „Pass gefälligst auf! Sonst fällst du am Ende selbst noch raus!“ „Aua, das tut weh!“, keifte sie ihn verärgert an. Der Schwarzhaarige ignorierte sie jedoch und widmete sich dem im Baum Hängenden: „Kannst du mich erreichen? Ich zieh dich rein.“

 

Nun streckte der Suzuki-Erbe seine Hand aus und versuchte ihm zu helfen. Dies war allerdings nicht von Nöten, denn wortlos beschloss der Schwarz-Blauhaarige seine Vogelform anzunehmen und einfach durch das geöffnete Fenster zu fliegen. Kunstvoll nahm er inmitten des Raumes dann wieder seine menschliche Form an und landete sanft auf seinen Füßen.

 

Endlich wussten die beiden Oberschüler ihn in Sicherheit und sackten Schulter an Schulter zusammen. Von dem Schock erschöpft, saßen sie so eine kurze Weile auf dem Boden und verschnauften endlich.

 

„Tut mir wirklich leid“, kratzte sich der Kleine verlegen am Hinterkopf. „Das sollte es auch. Du hast uns einen riesigen Schreck eingejagt!“, war Kuro sichtlich sauer. „Ich wollte euch wirklich nicht dabei stören“, verbeugte er sich nun sogar.

 

Etwas irritiert über die Aussage des Grundschülers, sahen die beiden ihn an. Sie wusste nicht so recht was er meinte.

 

„Warum stören? Wobei?“, versuchte das Mädchen die Situation zu erfassen, „Wir waren halb krank vor Sorge, weil wir dachten, dass du gleich runterfällst und dich verletzt.“ „Warum sollte ich runterfallen? Ich kann doch fliegen“, verstand Skye nicht.

 

Da die beiden Parteien scheinbar völlig aneinander vorbeiredeten führte das Gespräch ins Nichts. Der Schwarzhaarige versuchte zwar auch zu erklären, dass es gefährlich sei so hoch auf Bäumen herum zu klettern, aber es half nichts.

 

„Mir passiert schon nichts“, ließ es den Kleinen einfach kalt, „Es ist viel schlimmer, dass ich euch unterbrochen habe.“ „Warum denn unterbrochen? Wie meinst du das?“, wollte der Suzuki-Erbe wissen. Verwirrt legte der Grundschüler den Kopf schief: „Na bei eurer Liebeserklärung?“

 

Mit feuerroten Köpfen wurde der Jüngste daraufhin geschockt angesehen und die beiden Oberschüler sprangen augenblicklich auf. Ihr Anblick, Schulter an Schulter auf dem Boden zu sitzen, half nämlich so gar nicht dieses Missverständnis aus dem Weg zu räumen.

 

„Wie kommst du auf sowas Dämliches?!“, stritt Kuro es sofort ab. Auch die Blauhaarige legte direkt ihr Veto ein: „Warum sollte ich mit dem da zusammen sein wollen?! Das ist der totale Idiot!“ „Und du bist eine absolute Nervensäge, die ständig irgendwelchen Mist verzapft!“, richteten sich die Worte des Ältesten nun an die Stipendiatin. Diese ließ sich das allerdings nicht gefallen und gab direkt Kontra: „Na, wenn ich dich so nerve, dann geh doch einfach! Glaubst du ich habe groß Bock mit jemandem wie dir in einem Raum zu sein?!“

 

Gesagt getan, verschwand der junge Mann mit knallender Tür aus dem Zimmer. Dabei tat er noch kund, dass er seine Zeit hier nur unnötig weiterverschwenden würde.

 

Genervt von ihm, plumpste Rin auf den Stuhl und blähte die Wangen auf: „So ein Vollidiot! Weiß gar nicht warum der mir für einen Moment leidgetan hat.“

 

Um auf andere Gedanken zu kommen, griff sie nach ihrem Manga und versuchte darin weiterzulesen. Skye, welcher noch immer bedröppelt in der Raummitte stand, fasste sich nun endlich wieder und ging nuschelnd ins Bad: „Akira hatte recht. Ich sollte mich einfach nicht mehr einmischen. Irgendwie mache ich alles nur schlimmer.“

 

Nach einigen Minuten kam der Grundschüler endlich wieder aus dem Badezimmer heraus und auf die Blauhaarige zu, welche mittlerweile auf dem Bauch im Bett lag und ihr Buch verschlang. Befangen setzte er sich zu ihr: „Hör mal, Rin…“

 

Angesprochene drehte ihren Kopf und sah ihn erwartungsvoll an. Sie hatte noch immer recht gemischte Gefühle was den Kleinen anging. Es war wegen der Aktion, als er ihr versuchte vorzuschreiben mit wem sie sich einlassen durfte und mit wem nicht. Außerdem schien er die beiden Oberschüler soeben belauscht oder zumindest beobachtet zu haben, was ihr ebenfalls nicht behagte.

 

„Ich werde mich nicht mehr in deine Beziehungsdinge einmischen. Es sei denn du möchtest einen Rat oder dergleichen. Es tut mir leid, dass ich dir vorschreiben wollte mit wem du dich treffen darfst und mit wem nicht“, entschuldigte er sich kleinlaut. „Danke, dass du das einsiehst“, setzte sich das Mädchen auf, „Ich kanns leider nicht ändern, dass ich mit Kuro absolut nicht klarkomme. Er ist immer so gemein. Yoshida-kun hingegen ist wirklich nett. Früher war er ja auch mal anders, aber er hat sich geändert.“ „Ich verstehe dich. Auch wenn ich es nicht wirklich akzeptieren will. Trotzdem habe ich eine kleine Bitte“, forderte Skye, „Könntest du nicht aufhören dich die ganze Zeit mit Kuro zu streiten? Das ist ganz schrecklich…“

 

Der Grundschüler machte ein Gesicht, als würden ihm gleich die Tränen kommen. Offenbar belastete es ihn wirklich sehr, wenn in seiner Umgebung solche Streitereien stattfanden.

 

Da der Jüngere ihr nun entgegengekommen war, wollte sie dies ebenfalls: „Na ja… Ich kann es nicht wirklich versprechen, aber ich kann es mal versuchen.“

 

Dadurch erhellte sich der Ausdruck des Grundschülers ein wenig und auch Rin war deutlich erleichtert darüber, dass sie von seinen Tränen verschont geblieben war. Noch während sie aufatmete, umkreiste den Kleineren ebenfalls ein blauer Schmetterling, welcher genauso schnell wieder verschwand, wie er aufgetaucht war. Auch der Social Link mit ihm stieg wohl auf das dritte Level an.

 

„Aber jetzt mal was anderes“, wechselte das Mädchen ziemlich stürmisch das Thema, „Wie lange hast du da schon im Baum gesessen und was hast du mitbekommen?“ Kurz musste er überlegen: „Also eigentlich wollte ich mich nur wieder mit dir vertragen kommen. Und dann kam Kuro plötzlich zu dir und ich wollte euch nicht stören.“ „Das heißt du hast einfach alles mitgehört?“, knirschte das Mädchen verstimmt mit den Zähnen. „Alles habe ich nicht gehört, weil ihr zwischenzeitlich echt leise gesprochen habt. Aber im Grunde habe ich einiges mitbekommen“, zuckte er gleichgültig mit den Schultern, als sei es das normalste der Welt.

 

Natürlich war es das für die Ältere nicht und wieder wurde der kleine Mann zurechtgewiesen, woraufhin er sich erneut entschuldigen musste. Schlussendlich versöhnten sich die beiden aber wieder, redeten noch über Gott und die Welt und schliefen schließlich Seite an Seite quer über dem Bett ein.

 

 

 

 

 


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