Montag, 27. April 2015
Ausgepowert fiel Rin der Länge nach auf ihr Bett, als sie spät am Abend ins Wohnheim zurückkam. Nicht nur ihr Assistenzjob verlangte im Moment einiges von ihr ab, nein, denn auch der Schulstoff bereitete ihr einige Schwierigkeiten. Sie war sowieso schon niemand der leicht lernte und selbst an der staatlichen Aehara Schule gehörte sie im Durchschnitt zu den Schlechteren. Beim Niveau der Suzuki Akademie grenzte es eigentlich schon an ein Wunder, dass sie noch nicht wieder rausgeschmissen wurde. Rin wusste nur zu gut, dass die Akademie schwer war. Aber ihr liebster Sport zog sie nun mal dorthin.
„Du bist heute schon wieder ziemlich spät dran“, stellte Skye fest, welcher in der Sitzecke an seiner Spielekonsole hing. „Ja ich weiß“, hörte man Rins gedämpfte Stimme durch das Kissen, „Aber dafür habe ich das Chaos in Kuros Büro fast bewältigt.“ „Na dann“, war der Kleine in sein Spiel vertieft.
Unterdessen stand die Blauhaarige wieder vom Bett auf und kramte in ihrer Schultasche. Heute Morgen hatte Momiji ihr das versprochene Klapphandy gegeben, welches Rin nun endlich in Betrieb nehmen wollte. Dazu kam sie den lieben langen Tag leider nicht. Eine neue SIM-Karte mit alter Nummer hatte sie sich schon zugelegt, weswegen sie das Telefon recht schnell nutzen konnte. Kaum war es jedoch endlich hochgefahren, bekam die Oberschülerin eine Flut an Benachrichtigungen. Nach und nach schaute sie alles durch und richtete sich das kleine Gerät nach ihren Wüschen ein.
Sie hatte nicht nur etliche verpasste Anrufe von Saito, sondern auch zwei von ihrem Sandkastenkumpel Shuya. Dazu schrieb er ihr auch noch eine Nachricht, ob sie sich vielleicht mal wieder treffen wollten. Auch von Akira hatte das Mädchen eine SMS erhalten. Dieser fragte ähnliches und schien etwas Smalltalk halten zu wollen. Von Kuro hatte sie ebenfalls Nachrichten erhalten, aber das war ihr sowieso schon klar und interessierte sie eher weniger.
Nachdem die Oberschülerin endlich mit dem Beantworten fertig war, stand Skye plötzlich vor ihr: „Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um zu trainieren.“ „Was?“, verstand das Mädchen nicht so recht. „Du kannst noch immer kein Wasser kontrollieren“, kam es ruhig aus dem Jüngeren, „Schon vergessen?“ „Es ist Mitternacht!“, fiel die Blauhaarige aus allen Wolken. Irritiert über diese Aussage legte der Grundschüler seinen Kopf schief: „Ja und? Das ist die perfekte Zeit, um ungestört zu trainieren.“ „Nein, ich will lieber schlafen“, jammerte die Ältere.
Wenig später hatte es Skye geschafft die Oberschülerin zur Schwimmhalle im Keller zu bewegen. Allerdings standen die beiden ratlos vor einer völlig vereisten Eingangstür, welche sich keinen Millimeter bewegte.
„Was ist denn hier los?“, rüttelte Rin wie eine Irre an der Türklinke. „Irgendjemand scheint den Durchgang absichtlich verschlossen zu haben“, grübelte der Schwarz-Blauhaarige, „Scheinbar jemand mit speziellen Kräften.“ Nun wurde auch das Mädchen neugierig: „Du meinst hier gibt es einen Schüler, der Eis kontrollieren kann? Aber warum sollte derjenige dann die Tür vereisen?“ „Ich frage mich eher, warum das so offensichtlich zur Schau gestellt wird. Das ist gefährlich, wenn unbeteiligte etwas spitzbekommen“, schnaubte der Jüngere genervt, „Muss ich hier denn auf alle aufpassen oder was?“ „Du machst dir viel zu viele Gedanken um unnütze Dinge. Viel interessanter ist doch wer das war“, war die Stipendiatin völlig aufgedreht.
Wieder schnaubte der Grundschüler genervt und entfernte sich von der Tür: „Ich habe da schon so eine Ahnung. Wahrscheinlich hat sich die Person in der Schwimmhalle eingeschlossen, um ungestört zu sein. Wenn wir in der Eingangshalle warten werden wir früher oder später jemanden aus dem Keller kommen sehen.“ „Der Keller ist groß. Da ist doch nicht nur das Schwimmbad“, verstand Rin nicht so ganz, „Theoretisch könnten da auch noch andere Schüler hochkommen.“ „Guck dich doch mal um. Hier ist keine Menschenseele und das Licht in den anderen Räumen ist auch ausgeschaltet“, erklärte Skye scharfsinnig.
Gesagt, getan blickte das Mädchen in die entsprechende Richtung, um festzustellen, dass ihr Gegenüber recht hatte. Schließlich machte sie sich auch auf den Weg und die beiden ließen sich erstmal in einem Sessel in der Eingangshalle nieder.
Mutterseelenallein saßen sie dort und warteten darauf, dass etwas geschah. Durch das gedimmte Licht wirkte die große Halle fast schon ein wenig gruselig und Rin wäre am liebsten wieder ins Bett gekrochen. Aber etwas Gutes hatte das Ganze: Sie konnte sich vor dem grausamen Training drücken.
Nach einer Weile wurde die Blauhaarige schläfrig und rutschte tiefer in den Sessel. Auch ihr kleiner Begleiter fläzte bereits quer über dem bequemen Möbelstück und war in sein Videospiel vertieft. Es dauerte nicht lange, da war die Oberschülerin auch schon im Land der Träume versunken.
Wenig später rührte sich tatsächlich etwas und eine Schülerin kam plötzlich aus dem Untergeschoss. Sie hatte einen großen Rucksack auf dem Rücken und trug bequeme Freizeitkleidung. Durch ihre langen eisblauen Haare wusste Skye sofort wen er da vor sich hatte.
„Ruri!“, stieß der Kleine aus und eilte zu benannter. Diese blieb ganz perplex stehen und sah den Schwarz-Blauhaarigen irritiert an: „Was machst du denn hier?“ „Ich habe auf dich gewartet“, grinste der Grundschüler.
Ängstlich wich die Schülersprecherin daraufhin einen Schritt zurück, denn mit dieser Antwort hatte sie nicht gerechnet.
„Warum hast du den Eingang zur Schwimmhalle vereist? Was hast du da unten gemacht?“, sah der Jüngere fordernd zu ihr hinauf. „Ich bin also aufgeflogen?“, lächelte die Eisblauhaarige schief, „Manchmal gehe ich zur Abwechslung im Schwimmbad gerne Eislaufen. Hin und wieder brauche ich etwas Bewegung.“ Mit einer überraschten, aber auch ernsten Miene schien der Kleine nicht ganz fassen zu können was er eben gehört hatte: „Du machst was?! Du kannst das ganze Schwimmbad zu einer Eisfläche formen?“ „Warum überrascht dich das? Rin hat doch scheinbar auch übernatürliche Kräfte“, verstand Ruri seine Reaktion nicht. „Mich irritiert weniger, dass du Eis formen kannst. Was mich überrascht ist das Ausmaß deiner Kraft“, erklärte der kleine Mann. Kurz überlegte sein Gegenüber: „Hm… Findest du? Für mich ist das kaum noch etwas Besonderes. Ich könnte noch viel größere Flächen vereisen.“ „Du hast diese Kraft schon relativ lange oder?“, überlegte der Grundschüler. „Kann schon sein“, lächelte das Mädchen sanft, „Ich erinnere mich nicht mehr so genau.“ „Aber weißt du“, setzte der Jüngere an, „Wenn du nicht vorsichtiger bist, kannst du ziemlich schnell auffliegen. Das ist wirklich gefährlich.“ „Ich habe mich ja nicht verraten. Der Eingang zum Schwimmbad war verriegelt. Keiner kann nachweisen, dass ich das mit meinen Kräften geschaffen habe“, erklärte das Mädchen ruhig. Dies stellte Skye nur halb zufrieden: „Pass trotzdem auf. Leute könnten anfangen nachzuforschen. Das kann nicht nur Konsequenzen für dich, sondern auch für andere deiner Art haben.“ „Ich passe schon auf“, lächelte die Schülersprecherin sanft und verabschiedete sich daraufhin.
Zwar hatte der Schwarz-Blauhaarige nun Gewissheit wer sich hinter dem Eiselement verbarg, war aber dennoch ein wenig in Sorge. Obwohl Ruri definitiv vernünftiger war als Rin. Immerhin musste er sich noch lange nicht so sehr um die Schülersprecherin sorgen wie um die blauhaarige Chaotin. Dennoch hatte er ein flaues Gefühl in der Magengegend.
Velvet Room
Ich spürte, wie mir etwas Nasses in die Schuhe lief und schreckte auf. Erneut befand ich mich in der blau schimmernden Folterkammer, genannt Velvet Room. Das einzig Gute an diesem Raum war wohl der angenehme Duft nach frischem Regen.
„Warum bin ich denn jetzt schon wieder hier?“, krallte ich mich mit einer Mischung aus Panik und Unlust an einem kleinen Felsbrocken fest. Diesen versuchte ich zu erklimmen, um aus dem knöchelhohen Wasser herauszukommen.
Es war mir immer noch unbegreiflich wie es sein konnte, dass an den Wänden kleine Wasserfälle herabliefen, aber der Wasserspiegel einfach nicht anstieg.
„Willkommen in meinem Velvet Room, Rin-chan“, vernahm ich die eigenartige Stimme dieses alten Mannes. „Was willst du nur immer von mir?!“, war ich wirklich genervt, „Hör auf mich ständig zu entführen!“ „Es obliegt nicht meiner Macht dich herzuführen. Allein dein Schicksal entscheidet dies“, kicherte Igor mal wieder auf seine verrückte Art. „Schicksal hin oder her! Ich habe mein Leben selbst in der Hand!“, meckerte ich ihn an. „Dann zeig uns auch in Zukunft was in dir steckt und meistere alle deine Aufgaben“, trat nun auch Jayjay in mein Blickfeld.
Dieses Mal hatte sie wieder einen Flechtzopf. Das war dann wohl wieder die ruhigere Version. Mal ehrlich. Aus diesem Mädchen wurde ich einfach nicht schlau.
„Ah, da fällt mir was ein“, lenkte ich plötzlich vom Thema ab, „Jayjay, als ich dich zuletzt gesehen habe warst du im Wohnheim und du warst ein Junge!“
Die Platinblonde legte leicht ihren Kopf schief und begann zu grübeln: „Ich kann mein Geschlecht nicht ändern. Und ich erinnere mich an nichts dergleichen. Du scheinst mich zu verwechseln.“
Komisch. Ich war mir ziemlich sicher gewesen, dass sie es war. Und sie sah mit den kurzen Haaren und der langen Hose wirklich wie ein Junge aus. Allerdings machte es generell keinen Sinn sie im Wohnheim gesehen zu haben. Wenn sie im Velvet Room zwischen Traum und Realität existierte, dann war sie doch eigentlich gar nicht echt, oder? Aber ich war auch hier. Also war sie doch echt? Oder wurde sie in der echten Welt zu einem Jungen und verlor anschließend die Erinnerungen, wenn sie wieder zurückkehrte?
„Ich werde hier noch verrückt!“, schrie ich und raufte mir die Haare.
„Seit deinem letzten Besuch hast du weitere soziale Fortschritte gemacht“, ignorierte die Assistentin meinen Wutausbruch und starrte auf ihr Tablet, „Du bist neue Bündnisse eingegangen mit der Liebenden und der Hanged Man Arcana. Außerdem sind der Streitwagen, das Schicksalsrad, die Kraft und der Narr aufgestiegen. Das ist ein guter Anfang. Weiter so und dein Schicksal wird sich zum Positiven wenden.“ „Zum Positiven?“, war alles was bei mir hängenblieb, „Sieht meine Zukunft etwa so düster aus oder was willst du damit sagen?“ „Du sagtest eben noch, dass du dein Schicksal selbst in die Hand nimmst. Schau, wo es dich hinführt“, lächelte das Mädchen freundlich.
Trotz allem waren ihre Worte genauso nichtssagend wie die des alten Knackers. Dieser schaltete sich nun auch wieder ins Geschehen ein: „Zuletzt darf ich dir noch zum Bestehen deiner ersten großen Herausforderung gratulieren. Du hast es geschafft die Feuerprinzessin zu retten und ihre Gunst für dich zu erlangen.“ „Feuerprinzessin?“, blickte ich sichtlich verwirrt drin, „Meinst du Ami? Warum redest du nicht normal?“ Mein Jammern ignorierend setzt Igor kichernd fort: „Wirst du deine nächste Aufgabe auch meistern?“
Während er scheinbar Spaß hatte, war ich mehr als nur genervt: „Warum sollte ich dein blödes Spiel mitspielen? Ami habe ich nur gerettet, weil sie meine beste Freundin ist! Such dir jemand anderen, der deine Opfer da wieder rausholt! Ich habe keine Zeit! Schule, Lernen, Prüfungen, Lacrosse, Stipendium nicht verlieren, Kuros Mist aufräumen, Ami erklären, dass Yoshida-kun auf mich steht, …“
Ich merkte wie meine Worte immer leiser wurden, obwohl ich krampfhaft versuchte lauter zu reden. Auch der Raum entfernte sich immer weiter und weiter aus meinem Sichtfeld, ehe es stockfinster vor meinen Augen wurde.
Noch immer hing Rin tief schlummernd im Sessel, als Skye soeben wieder auf sie zugelaufen kam. Er wollte sie wecken, um endlich ins Bett zu gehen. Ruri hatte er ja bereits enttarnt und für eine Trainingseinheit der Blauhaarigen war es nun wirklich schon viel zu spät. Das musste er einsehen.
Noch bevor er das Mädchen sanft rütteln wollte, zuckte diese plötzlich heftig zusammen und fiel mit einem dumpfen Geräusch von dem bequemen Möbelstück.
„Aua~“, jammerte die Oberschülerin verschlafen und rieb sich den Hintern.
Langsam rappelte sie sich schließlich wieder auf und schaute sich bedröppelt um: „Eingangshalle? Diese Traumteleportation macht mich wahnsinnig.“
Herzhaft gähnend torkelte die Stipendiatin daraufhin Richtung Aufzug, um zu ihrem Zimmer zu gelangen und weiterschlafen zu können.
„Ist sie wach oder schlafwandelt sie?“, schaute der Schwarz-Blauhaarige ihr verwirrt hinterher, eher er ihr folgte.
Dienstag, 28. April 2015
Es war früher Abend, als Saito das Oberschulgebäude der Suzuki Akademie betrat. Am Morgen erhielt er einen Anruf bezüglich Rin. Genaueres wurde ihm leider nicht vermittelt. Lediglich um ein persönliches Gespräch mit dem Erziehungsberechtigten wurde gebeten. Auch war der Blonde sich nicht sicher, mit wem er über seine Schwester reden würde. Etwa der Klassenlehrer? Zudem hieß es, dass er der Blauhaarigen nichts von dem Treffen erzählen dürfe. Also konnte er diese auch nicht aushorchen und nachfragen was sie verbrochen hatte.
Er kannte den kleinen Heißsporn und wusste, dass sie schnell mal den Kopf verlieren konnte. Allerdings war er absolut ratlos was sie angestellt haben könnte. Vielleicht hatte sie jemanden beleidigt? Oder hatte sie etwa irgendwas demoliert, wenn auch unabsichtlich? Immerhin war Rin in mancher Hinsicht wirklich tollpatschig. Aber warum sollte sie es dann nicht erfahren? Oder ging es etwa um ihre schulische Leistung? Saito wusste nur zu gut, dass seine Schwester nicht so berauschend in der Schule war. Und dann auch noch die Suzuki Akademie mit dem extrem hohen Lernniveau. Allerdings waren seine Gedanken unlogisch, denn die Prüfungen standen erst noch bevor. Die Stipendiatin konnte noch gar keine nachgewiesenen schlechten Leistungen erbracht haben.
Nachdenken brachte den jungen Mann nicht weiter, weswegen er schnellen Schrittes zum Lehrerzimmer eilte.
Mit einem Klopfen meldete er sich an: „Guten Tag, ich bin Saito Aikawa. Ich wurde wegen Rin zum Gespräch gerufen.“ Sofort kam ein brünetter junger Mann auf ihn zu: „Guten Tag, Aikawa-san. Ich bin Nishima, der Klassenlehrer Ihrer Tochter.“ „Freut mich Sie kennenzulernen Nishima-sensei“, kratzte sich der Blonde verlegen am Hinterkopf, „Ähm ja… also Tochter ist nicht ganz richtig. Aber ich bin auf alle Fälle der Erziehungsberechtigte.“ „Oh wie unaufmerksam, entschuldigen Sie. Mir war die Familiensituation meiner neusten Schülerin nicht bewusst“, war der junge Lehrer ein wenig aufgebracht. Saito grinste nur schief: „Schon okay, es ist ein wenig kompliziert. Aber das ist nicht der Grund für mein Erscheinen nehme ich an?“ „Natürlich nicht“, schüttelte der Brünette den Kopf, „Es geht um Aikawa-sans Stipendium. Der Direktor möchte Sie deswegen gerne persönlich sprechen.“
Also ging es doch um Rins schlechte Leistungen? Da lag Saito wohl gar nicht so daneben mit seiner Vermutung. Wobei es natürlich auch sein könnte, dass sie es durch schlechtes Benehmen verlieren könnte.
Rasch hatte der Klassenlehrer den Blonden zum Direktorat geführt und war auch genauso schnell wieder verschwunden. Zurück blieb ein unsicherer junger Mann, welcher mit sich haderte anzuklopfen. Er wollte definitiv wissen was seine Schwester angestellt hatte. Allerdings hatte er echt große Angst, dass sie irgendwelchen Blödsinn verzapft hatte und er sich nun Schimpfe für schlechte Erziehung anhören musste.
Tief atmete der Student durch, ehe er endlich klopfte und direkt hereingebeten wurde.
„Guten Tag, mein Name ist Saito Aikawa. Ich wurde wegen Rin hergebeten?“, verbeugte der Blonde sich höflich. „Hallo Aikawa-san. Schön, dass Sie so schnell kommen konnten. Ich bin Ayumu Kuroya Suzuki, der momentan leitende Direktor der Suzuki Akademie und Schüler der 2C“, erhob sich Kuro von seinem Stuhl und verbeugte sich leicht.
Völlig von der Rolle starrte der Student wie versteinert auf den jüngeren Schwarzhaarigen vor sich. Saito musste erstmal verarbeiten was er soeben hörte, denn er wollte nicht glauben, dass ein Schüler gleichzeitig auch der Direktor einer Schule war.
„W-Was…?“, war alles was der Ältere zu diesem Zeitpunkt zu Stande brachte.
Er wurde doch soeben auf den Arm genommen, oder? Das konnte nur ein schlechter Witz sein. Tausend Fragen machten sich in seinem Kopf breit und er wusste gar nicht welche er zuerst stellen sollte.
„Setzen Sie sich doch bitte“, deutete der Suzuki-Erbe mit einer Hand auf den Stuhl vor seinem Pult, ehe auch er sich wieder hinsetzte.
Noch immer perplex tat der Blonde wie ihm geheißen und nahm Platz.
„Ich weiß, dass es eigenartig erscheint, dass ich als Schüler und Direktor vor Ihnen stehe, aber das ist kein Scherz“, konnte Kuro scheinbar Gedanken lesen, „Eigentlich leitet mein Großvater die Akademie. Allerdings liegt er seit einer Weile im Krankenhaus und würde ich als Erbe mich nicht um die Akademie kümmern, wäre sie in fremde Hände abgegeben worden. Ich weiß, dass einige scharf auf diesen Posten sind. Allerdings weiß ich auch, dass sie diesen Job nicht mit den gleichen Prinzipien ausführen würden wie mein Großvater das gerne möchte. Deswegen vertrete ich ihn.“ „O-Okay“, stotterte der Ältere überrumpelt, „Das beantwortet fast alle meine Fragen.“ „Fast?“, hakte der Schwarzhaarige nach.
Er wusste mittlerweile was die Leute dachten, wenn sie einen Schüler als Direktor vorgesetzt bekamen. Deswegen hatte er auch direkt alle Antworten parat, bevor eine Frage überhaupt ausgesprochen war. Der Suzuki-Erbe wusste ebenfalls, dass es nichts brachte irgendwelche halben Geschichten zu erzählen, weswegen er offen davon berichtete, dass der eigentliche Direktor krank war.
„Ja, ich weiß noch immer nicht warum ich vorgeladen wurde“, erklärte der Blonde. „Darf ich mir zuvor noch eine andere Frage erlauben?“, wechselte der stellvertretende Direktor das Thema.
Ein Nicken seines Gegenübers signalisierte ihm Zustimmung, weswegen er besagte Frage stellte: „Sie sind nicht Rin-chans Vater, oder? Wie stehen Sie zu ihr? Beziehungsweise wo sind ihre Eltern?“ „Ja das stimmt“, kratze sich der Student verlegen am Hinterkopf, „Rin ist meine kleine Schwester. Unsere Eltern sind leider nicht in der Lage sich um sie zu kümmern, deswegen mache ich das. Es tut mir leid, wenn sie Ihnen irgendwelche Schwierigkeiten gemacht hat.“ Sofort winkte Kuro ab: „Nein, nein sie hat nichts angestellt. Ich war einfach neugierig, Entschuldigung. Sie brauchen mich übrigens nicht so förmlich anzusprechen. Immerhin bin ich jünger.“ „Na da bin ich ja erleichtert, dass sie keinen Blödsinn gemacht hat. Wenn das so ist, dann brauchst du mich auch nicht förmlich anzusprechen. Wir haben ja keinen allzu großen Altersunterschied“, lachte der Blonde.
„Nun denn, kommen wir zum eigentlichen Thema“, setzte der Schwarzhaarige an.
Daraufhin erklärte er dem Älteren wie es um Rins Stipendium stand und, dass es Probleme mit ihrer Angst vorm Wasser gab.
„Hm… ja. Das ist in der Tat kein neues Problem“, erklärte Saito, „Meine Schwester hatte schon an anderen Schulen dasselbe Theater was den Schwimmunterricht anbelangt. Aber da konnte man ihn einfacher umgehen. Das mit dem Sportstipendium ist natürlich eine verzwickte Angelegenheit.“ „Gibt es denn vielleicht eine Möglichkeit ihr die Angst zu nehmen? Ansonsten brauchen wir erzwingend ein ärztliches Artest. Ich kann das Stipendium nicht anerkennen, wenn sie im Sport durchfällt“, erklärte der Jüngere ernst die einzigen Auswege aus diesem Schlamassel. „Keine Chance“, schnaubte der Student, „Es ist unmöglich ihr die Angst zu nehmen. Die hat sie schon seit sie ein Kleinkind ist. Kein Psychologe oder Arzt dieser Welt hat bisher irgendetwas verändern können. Andererseits will auch kein Arzt ein Artest ausstellen, weil sie der Meinung sind, dass es keinen Grund dazu gibt. Sie sind der Meinung, dass Rin ein bockiges Kind ist, dass einfach nur keine Lust hat. Blöderweise hat sie nämlich vergessen warum sie Angst hat.“ „Das macht keinen Sinn. Sie hat Angst ohne sich daran zu erinnern warum?“ blickte Kuro irritiert drein.
Der Blonde schnaubte einmal schwer, ehe er versuchte dieses schwierige Thema zu erläutern: „Die Ärzte sagen, dass sie eine retrograde Amnesie hat. Durch ein traumatisches Ereignis vergisst man dieses und alles was davor geschah. Mit der Zeit kamen natürlich die Erinnerungen bestimmter Kleinigkeiten wieder. Aber an das ausschlaggebende Geschehen kann sie sich noch immer nicht erinnern. Vielleicht wird sie sich auch niemals wieder daran erinnern, was nicht unbedingt schlecht ist. Allerdings reagiert ihr Körper unweigerlich darauf und sie bekommt Angst. Die Ärzte sagen, dass sie sich dieser Angst stellen soll, um sie zu überwinden.“ „Ihr Unterbewusstsein erinnert sich also noch an das Trauma? Das ist sehr verwirrend, aber ich habe darüber schonmal etwas gelesen“, überlegte der Schwarzhaarige, „Nur blöderweise löst das noch immer nicht das momentane Problem. Ich verstehe nur nicht, warum sie mir nicht schon längst davon erzählt hat. Immerhin habe ich sie deswegen extra gefragt. Sie ist echt eine Idiotin.“
Während sich der Suzuki-Erbe zähneknirschend darüber aufregte, dass Rin nichts gesagt hat, musste sein Gegenüber schmunzeln: „Kann es sein, dass du mich nicht als Rektor dieser Schule zu dir gerufen hast, sondern als Freund der sich sorgt?“ „Hä?!“, fiel der Jüngere aus allen Wolken, „Wie kommst du denn darauf? Diese Trottelin ist eine Klassenkameradin und außerdem meine Assistentin. Ich bin einfach nur kein Unmensch.“
Mit verschränkten Armen und einem leichten Rosefarbschimmer auf den Wangen, sah der Oberschüler ertappt zur Seite.
Erneut musste Saito leicht lachen: „Ich bin froh, dass meine trottelige Schwester einen Kameraden gefunden hat, der sich um sie sorgt. Ehrlichgesagt hatte ich wirklich Angst, dass sie hier an der Schule gemobbt wird, weil wir keine Reichtümer vorweisen können. Und ich dachte ihr Assistenzjob wäre erniedrigende Lakaien-Arbeit. Jetzt wo ich weiß, dass es nicht so ist, geht es mir schon viel besser.“
Ertappt wanderte Kuros Blick nervös hin und her. Er konnte nach dieser Aussage dem Älteren nicht mehr ins Gesicht sehen, denn er hatte Unrecht. Der Schwarzhaarige war alles andere als ein Kamerad, der sich sorgte. Er machte sich pausenlos über Rin lustig und zog sie mit allerlei Dingen auf. Zudem bürdete er ihr einen Haufen Arbeit auf, ohne ihr zu erklären wie sie funktionierte. Außerdem hatte er in ihrer Gegenwart oft einen überheblichen Unterton und benahm sich teilweise wirklich daneben. Aber das konnte er ihrem Bruder schlecht sagen. Schließlich hatte der Oberschüler sich ihm gegenüber mit Absicht von seiner besten Seite gezeigt, um an Informationen zu gelangen. Als freundlicher Direktor hatte er da logischerweise mehr Chancen als ein nerviger Mitschüler.
„Ach was, du musst dir keine Sorgen machen. Eine gewisse Strenge muss zwar sein, aber gemobbt wird deine Schwester nicht. Außerdem ist sie ziemlich hart im Nehmen und weiß sich zu wehren“, winkte der Schwarzhaarige ab. „Aber eine harte Schale hat auch einen ziemlich weichen Kern. Deswegen bin ich froh, dass sie jemanden hat der zu ihr hält“, lächelte der Blonde. „Ja…“, haderte der Suzuki-Erbe mit sich, „Jetzt, da ich im Bilde bin, überlege ich mir etwas bezüglich ihres Stipendiums. Ich schaue mal was ich erreichen kann.“ „Das ist wirklich super, danke. Halte mich bitte auf dem Laufenden. Ich muss mich ja um die Versetzung kümmern, wenn es wirklich so weit kommt“, bat der Ältere den Jüngeren. Zustimmend nickte Angesprochener: „Mache ich. Tu du mir nur den Gefallen und sag ihr nichts von unserem Gespräch. Ich will nicht, dass sie denkt ich sei ihr in den Rücken gefallen.“ „Ich weiß ja wie stur sie manchmal sein kann. Da wundert es mich nicht, dass du mich um Rat gefragt hast. Du machst dir ja auch nur Sorgen“, verstand Saito voll und ganz die Beweggründe des jungen Mannes.
Nach weiterem Smalltalk verabschiedeten sich die beiden schließlich. Dem Blonden fiel ein großer Stein vom Herzen, während Kuro bedrückter war denn je. Deprimiert ließ er seinen Kopf auf die Tischplatte sinken und hasste sich fast schon ein wenig selbst.