Sonntag, 19. April 2015
Es war bereits dunkel geworden, als Rin soeben aus dem Wohnheim kam. Sie war auf dem Weg zum Schulgelände, um sich dort mit Skye und Kuro zu treffen. Nachdem sie die beiden am Morgen noch ewig lange genervt hatte, ließen sie sich breitschlagen doch nochmal in den Dungeon zu gehen. Auch, wenn sie doch eher gemischte Gefühle hatten. Dem Mädchen war das allerdings egal, denn für sie zählte nur ihre beste Freundin. Da war ihr jedes Mittel recht.
Abgesehen davon war sie dann doch irgendwie froh, dass die zwei sie begleiten würden. Alleine hätte sie sicherlich große Schwierigkeiten, aber das würde sie niemals zugeben. Nicht vor diesem Vollidioten, der ihr noch immer das Leben zu Hölle machte. Kuro war ihr in dem Moment aber um Längen lieber als Akira. Nach der Aktion am Morgen wollte sie ihn am liebsten nicht mehr wiedersehen. Wie sollte sie ihm nach seiner Liebeserklärung je wieder unter die Augen treten? Wer hätte gedacht, dass der Kerl, der sie jahrelang gemobbt hatte eigentlich in sie verliebt war? Das war der Blauhaarigen zu abstrakt, um es wirklich glauben zu können. Aber seine Gefühle, die er vorhin zum Ausdruck brachte erschienen ihr so ehrlich. Wenigstens die Entschuldigung wollte sie ihm glauben.
Als die Schülerin endlich beim Schuppen ankam, war noch keine Menschenseele zu sehen.
„Wo stecken die beiden?“, zückte sie ihr Klapphandy und checkte die Uhrzeit.
Es waren noch 5 Minuten bis zur verabredeten Zeit, aber wenn sie ehrlich war, dann war es das erste Mal, dass sie so viel früher da war. Bislang kam sie immer zu spät.
Nachdem sie kurz wartete, tauchte auch schon eine weitere Gestalt in der Dunkelheit auf.
„Da seid ihr ja endlich!“, rief das Mädchen ungeduldig. „Entschuldige, dass du warten musstest“, kam eine reuevolle Antwort.
Schreckhaft wich die Blauhaarige einen Schritt zurück. Der Suzuki-Erbe würde niemals eine solch höflich Antwort geben. Abgesehen davon wusste sie ganz genau wem diese Stimme gehörte. Es war kein geringerer als Akira, welcher sich soeben neben die Wartende gesellte.
„W-Was machst du hier?“, stammelte sie nervös. Auch der Rothaarige war angespannt: „Na ja… Mir wurde gesagt, dass ihr geplant habt doch zu gehen.“
Daraufhin brach eine peinliche Stille aus. Keiner der beiden wusste was er sagen sollte nachdem was zwischen ihnen vorgefallen war. Löcher in die Luft starrend sahen sie sich kein einziges Mal an.
Nachdem einige Minuten ins Land gezogen waren, hielt es das Mädchen nicht mehr aus und holte ihr Handy heraus. Schnell drückte sie ein paar Tasten und dann wählte es auch schon.
„Wo zum Teufel bleibt ihr?!“, schrie sie wutentbrannt in ihr Telefon, „Es ist bereits 20 Minuten nach der verabredeten Zeit!“ Zur Antwort bekam sie nur eine ziemlich schläfrige Stimme zu hören: „Schrei doch nicht so, du Trampel.“ „Schläfst du noch? Mach dass du mit Skye endlich herkommst!“, keifte die Oberschülerin ihren Kameraden an und legte dann einfach auf.
Während sie noch wütend herummurrte, konnte sich Akira ein leises Kichern nicht verkneifen. „Was ist daran so lustig?“, fuhr sie ihn genervt an. Dieser wich ertappt einen Schritt zurück und hob unschuldig die Hände: „Nichts, nichts. Es ist nur…“
Ein fragender Blick traf ihn, welcher darauf wartete, dass er seinen Satz beendete.
Leichte Röte stieg ihm ins Gesicht und er grinste: „Du bist süß. Ich mag deine ehrliche direkte Art einfach sehr.“
Mit weit aufgerissenen Augen sah sie sprachlos zu ihm herüber und lief knallrot an. Wieso sagte er plötzlich so etwas? Das machte sie doch nur noch viel nervöser und verschlimmerte die momentane Gesamtsituation.
Es dauerte noch eine kurze Weile, bis die beiden Zuspätkommer sich endlich dazugesellten. Natürlich ernteten sie von der Blauhaarigen nochmals ordentlich Anschiss, ehe sie endlich aufbrechen konnten.
Nur kurze Zeit später befand sich die Kleingruppe endlich wieder im Dungeon von Amika. Skye hatte sie vom Eingang aus zurück zur letzten Stelle teleportiert und nun standen sie wieder im Hausflur.
„Und jetzt? Wie soll es weitergehen?“, hatte Kuro wenig Motivation. „Ich weiß es auch nicht genau“, erwiderte der Rothaarige, „Aber wir müssen auf jeden Fall vorsichtig sein, denn wer weiß welches Schicksal uns erwartet. Nachdem was in diesem blauen Brief stand, habe ich ein echt mulmiges Gefühl.“ „Drauf geschissen. Wir haben unser Schicksal selbst in der Hand“, konnte Rin den beiden Jammerlappen nicht mehr zuhören.
Willensstark setze sie sich in Bewegung und checkte die angrenzenden Türen. Irgendeine musste sie doch weiterbringen.
Tatsächlich war dem auch so und das Mädchen trat in ein Badezimmer herein. Es war nicht unbedingt klein, aber auch keines dieser noblen unnötig großen Bäder. In einem Regalschrank, konnte Skye einen eBook Reader ausfindig machen: „Ob wir wieder etwas zu sehen bekommen?“
Noch bevor jemand die Frage beantworten konnte, erhellte sich das Display und ein Bild erschien.
Amika kniete vor der Badewanne, welche mit Wasser gefüllt war und hielt eine Zeitschrift in den Händen. Fixiert auf das Papier, welches sie demonstrativ über die Wanne hielt atmete sie tief ein und schloss die Augen. Nur Sekunden später öffnete sie diese wieder und starrte das Schriftstück konzentriert an. Es begann plötzlich zu dampfen und bekam eine leichte schwarze Färbung an den Außenseiten, als es plötzlich in Flammen aufging.
Vor Schreck zuckte die Rotbraunhaarige heftig zusammen, quiekte einmal kurz auf und ließ die Zeitschrift fallen. Diese plumpste ins Wasser und mit einem kurzen Zischen war das Feuer wieder gelöscht.
Damit färbte sich der Bildschirm wieder schwarz.
„Sie hat also damit geübt“, stellte die Blauhaarige fest. „Und im Anschluss das ganze Haus und ihre Schwester abgefackelt“, verschränkte der Suzuki-Erbe die Arme. „Das wissen wir doch überhaupt nicht“, war das Mädchen sichtlich verärgert, „Hör auf Ami irgendwelche Dinge zu unterstellen!“
Auch wenn sie wusste, dass es nicht komplett auszuschließen war, so wollte sie dennoch nicht glauben, dass ihre beste Freundin ihr eigenes Heim niedergebrannt hatte. Egal ob mit oder ohne Absicht.
Nach einer Weile des Suchens, fand die Kleingruppe endlich eine weitere Tür, welche sich öffnen ließ. Bereits vor dem Betreten wusste Rin schon, dass es sich hierbei um Amikas Zimmer handelte. Natürlich behielt sie recht und erneut betraten sie den weiblich wirkenden Raum, um diesen nach Hinweisen abzusuchen. Es dauerte nur kurz, bis sie schließlich auf dem Computerbildschirm ein Signal reinbekamen.
Die Brünette platzierte soeben drei nicht angezündete Kerzen nebeneinander auf dem Boden unter dem Fenster. Danach ging sie einige Schritte zurück und stellte sich seitwärts in deren Richtung, während sie den rechten Arm ausstreckte, die Finger zu einer Pistole formte und ein Auge zukniff. Das andere richtete den Blick hinweg über die zielende Hand auf die Leuchtkörper, als im selben Augenblick plötzlich eine kleine Flamme an ihrem Zeigefinger flackerte. In Sekundenschnelle feuerte das Mädchen diese auf eine der Kerzen, welche sich augenblicklich entzündete.
Erfreut über ihren Erfolg entwisch Amika ein Grinsen und sofort startete sie den nächsten Versuch. Auch dieser gelang direkt und die Schülerin quiekte vor Freude auf und legte beinahe schon einen Freudentanz aufs Parkett. Schließlich wurde sie aber wieder ernst und konzentrierte sich auf ihren letzten Versuch. Wieder flackerte die kleine Flamme an ihrem Zeigefinger auf, als die Brünette noch einmal tief einatmete, um diese abzufeuern. Plötzlich klopfte es allerdings an ihrer Tür, was sie zusammenzucken lies. Völlig aus dem Konzept feuerte sie versehentlich das kleine Geschoss ab, welches sein Ziel jedoch verfehlte und den Vorhang traf.
Fluchend eilte das Mädchen schnell zu diesem, um die noch kleine Flamme schnellstmöglich zu löschen. Gerade als ihre Zimmertür aufging hatte sie das Feuerchen glücklicherweise aus dem Vorhang geklopft. Zurück blieben nur eine verkohlte Stelle und etwas Rauch, welcher fürchterlich stank.
„Was ist denn hier passiert?“, betrat Kaori irritiert den Raum. „Was willst du?“, bekam sie nur eine motzige Antwort. Kurz haderte die Hellbraunhaarige: „Also… Eigentlich suche ich nur das Lexikon.“ „Ist nicht bei mir“, fiel die Antwort kurz aus. „Sag“, kam es vorsichtig aus der Älteren, „Geht es dir gut? Ist alles okay bei dir? Du weißt ja, dass du immer mit mir reden kannst.“ „Lass mich einfach in Ruhe und geh!“, meckerte sie die Besorgte verärgert an.
Damit endete die Szene und der Bildschirm verdunkelte sich wieder. „Ich kapier das nicht“, griff sich Akira nachdenklich ans Kinn, „Shiori-chan scheint ihre Schwester zu hassen, während diese immer nett zu ihr ist. Einzig ihre Mutter stellt die beiden immer gegenüber und macht sie damit schlecht. Trotzdem ist das aber kein Grund warum sie sie nicht leiden kann. Oder?“ „Vielleicht ist es ja auch einfach nur die Eifersucht, welche sie antrieb ihre Schwester umzubringen“, ging Kuro darauf ein. Die Blauhaarige war da allerdings anderer Meinung: „Sie hat Kaori nicht umgebracht! Nie und nimmer!“ „Spekulieren bringt uns nicht weiter“, warf der Jüngste nur ein, bevor die Gruppe beschloss weiterzusuchen. „Wann finden wir endlich Ami? Dieses ewige Gesuche ist so nervig“, quengelte Rin herum. „Nerv nicht. Du weißt genau, dass sie im Koma liegt“, entgegnete der Schwarzhaarige leicht genervt. Sofort gab das Mädchen wieder Kontra: „Aber wir sind doch hier, um sie zu retten! Da muss sie doch auch irgendwo sein!“
Noch eine Weile mussten die anderen beiden das Gezanke der Streithähne ertragen, ehe sie im Wohnzimmer angelangten.
„Irgendetwas ist hier seltsam“, schaute sich der Rothaarige um. „Hier ist es extrem kalt“, fröstelte es die Oberschülerin. Auch der Suzuki-Erbe meldete sich dazu zu Wort: „Es ist echt eigenartig, dass es immer wärmer wurde, bis wir alle schwitzten. Und jetzt ist es wieder so angenehm kühl wie zu Beginn.“ „Sind wir etwa wieder am Anfang?“, riss die Blauhaarige entsetzt die Augen auf. „Das kann ich mir nicht vorstellen“, überlegte Skye, „Aber trotzdem ist hier etwas anders als zuvor.“
Noch während die Kleingruppe darüber nachdachte, betrat plötzlich eine weitere Person den Raum. Geschockt zuckten sie alle vier zusammen und starrten das Mädchen an, welches in der Tür stand. Dieses jedoch hatte ihren Blick in den Raum hineingerichtet. Sie starrte förmlich zur Vitrine, in welcher all die Pokale der Familie prangerten.
„Ami!“, konnte es Rin kaum fassen, „Da bist du ja!“
Freudig schnellte sie zu ihrer besten Freundin und wollte dieser um den Hals fallen. Allerdings misslang ihr dies, weswegen sie mit der Stirn gegen den Türrahmen dahinter knallte. Schmerzerfüllt taumelte sie einige Schritte zurück und wurde unfreiwillig von Kuro vorm Fallen bewahrt.
„Aua. Was war das?“, hielt sie sich die Stirn.
Die Blauhaarige überkam ein Schwindelanfall, weswegen es ihr schwerfiel geradeauszusehen oder gar auf den Beinen zu bleiben. Hätte sie der Schwarzhaarige nicht an den Schultern festgehalten, wäre sie schon längst umgekippt.
Ungläubig wurde die Brünette von der Kleingruppe gemustert, ehe Akira der erste war, der wieder Worte fand: „Bist du soeben durch Shiori-chan hindurchgefallen?“ „Scheint so“, nickte der Jüngste. „Ob das vielleicht ihr Geist ist? Den müssen wir einfangen und zurückbringen“, ballte Rin entschlossen die Fäuste. „Ich bezweifle es ja“, schaute der Schwarzhaarige kritisch drein.
Im nächsten Moment, hatte Amika die Vitrine geöffnet und starrte die ganzen ausgestellten Pokale und Medaillen ihrer Familie an. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich verfinstert und wirkte sehr aggressiv.
„Wieso kann sie die Vitrinen Tür berühren? Ich konnte Ami nicht anfassen“, zog die Oberschülerin eine Augenbraue hoch.
Auch ihre Teamkameraden wussten darauf keine Antwort und beobachteten gebannt das weitere Geschehen.
Die Brünette erhob soeben ihre rechte Hand und machte daraufhin eine kurze Fingerbewegung. Plötzlich entfachte eine Flamme inmitten der Ausstellungsstücke, welches sich in Windeseile ringsherum ausbreitete. Die Verursacherin drehte sich wieder herum, sodass die Gruppe sie sehen konnte, als sie lautstark zu Lachen begann. Ihre Augen waren plötzlich gelb und leuchteten grell, während ihr rachsüchtiger Blick voller Freude und Genugtuung war.
„Wahahahar! Brenne! Brenne alles nieder und lass nichts mehr übrig!“, war die Stimme der Brünetten leicht verzerrt.
Voller Angst, hatte Rin sich am Arm des Suzuki-Erben festgekrallt: „W-Wer ist das?“
Sie zitterte am ganzen Leib und konnte kaum ihren Augen trauen. Auch die Jungs waren völlig erstarrt und noch ehe sie sich versahen, stand das komplette Zimmer plötzlich in Flammen. Die Temperatur stieg ins unermessliche und das grelle Flackern des Feuers blendete schrecklich.
Noch während sie dagegen ankämpften zu erblinden, wurde es plötzlich stockfinster.
„Was ist denn jetzt los?“, ertönte Akiras Stimme.
Doch bevor jemand darauf eingehen konnte, entzündeten sich auf einmal Wandfackeln der Reihe nach und die Gruppe stand in einem riesigen Raum. Dieser war ringsherum aus alten Steinmauern errichtet und wirkte sehr alt. Die Beleuchtung war eher schlecht als recht und man konnte kaum etwas erkennen.
„Passt bloß auf! Das scheint der Bossraum zu sein“, zückte der Rothaarige seinen Baseballschläger.
Das machte die Angst der Blauhaarigen jedoch nicht besser und so krallte sie sich nur noch fester an Kuros Arm. „Au! Was soll das denn?“, beschwerte sich der Schwarzhaarige, „Lass mich endlich los du Angsthase!“
Erst jetzt realisierte das Mädchen, dass sie sich an den jungen Mann geklammert hatte und wich peinlich berührt einen Schritt zurück.
„Ich hab keine Angst!“, protestierte sie und ballte die Fäuste.
Jetzt war definitiv der falsche Moment, um Schwäche zu zeigen. Generell durfte sie sich so etwas vor den beiden Spinnern niemals erlauben. Das machte sie nur angreifbar.
„Und wo ist jetzt der Stier?“, sah sich Kuro um. Irritiert kam darauf eine Gegenfrage von der Oberschülerin: „Welcher Stier?“ „Er meint den Bullen, welcher in dem Brief erwähnt wurde. Da stand doch geschrieben, dass wir Amika gerettet haben müssen, wenn der Widder vom Schlachtfeld verschwindet und bevor der Stier dann in Erscheinung tritt“, erklärte Skye, „Und da der Widder von uns im Zwischenkampf besiegt wurde, erwartet uns nun der Stier.“ „So siehts aus. Und wenn wir den Bullen nun direkt in die Knie zwingen, dürfte doch alles gut ausgehen“, beendete der Suzuki-Erbe die Erklärung des Jüngsten.
„Widder und Stier?“, grübelte die Blauhaarige, „Irgendwie kommt mir das bekannt vor.“
Plötzlich ertönte ein lautes Knurren und ein großes blutrot leuchtendes Augenpaar starrte die Kleingruppe an. Wie aus dem Nichts schleuderte es große Feuerbälle auf sie, welchen sie schwermütig versuchten auszuweichen. Durch die zusätzliche Lichtquelle konnten die Schüler endlich erkennen wer oder was ihnen dort gegenüberstand. Es handelte sich hierbei um ein großes schwarzes Wesen mit leuchtend roten Augen, welches den Umrissen nach zu urteilen an einen Tiger erinnerte.
„Das ist aber kein Stier!“, stellte das Mädchen fest.
Völlig außer Atem kam sie endlich zum Stehen. Sie konnte von Glück reden, dass sie nichts abbekommen hatte. Anders sah es da allerdings bei dem Rothaarigen aus. Dieser wurde gestreift, weshalb sein Umhang und auch seine Kleidung angesengt waren. Verletzt war er Gott sei dank nicht.
Skye hatte sich wieder in eine defensive Ecke verkrümelt und war unversehrt. Auch der Suzuki-Erbe, welcher neben seinem besten Kumpel stand, wurde nicht getroffen.
„Sehe ich selbst!“, kam es genervt von Kuro. „Haben wir uns etwa verrechnet?“, schnaufte der Mützenträger schwer, „Wo ist der Bulle?“ „Ich weiß es nicht“, knirschte der Schwarzhaarige mit den Zähnen, „Aber wir haben im Moment ein anderes Problem.“ „Jetzt weiß ich es wieder!“, erhellte sich Rins Gesicht. Erstaunt sahen die Jungs zu dem Mädchen herüber und der Rothaarige hakte nach: „Was denn? Hast du das Rätsel gelöst?“ „Als ob“, zog der Älteste eine Braue nach oben.
Doch noch ehe die Oberschülerin zu Wort kommen konnte, hatte der Tiger wieder einen Angriff gestartet. Er spuckte Feuerbälle auf die Truppe, welche erneut zum Ausweichen gezwungen wurde.
„Verdammt“, fluchte Rin lauthals, „Das hört ja gar nicht mehr auf!“ „Ruft eure Persona und startet den Gegenangriff!“, versuchte der Kleinste zu helfen.
Er hatte zwar recht, aber solange sie mit Ausweichen beschäftigt waren, gestaltete sich das doch eher schwierig. Sie mussten warten, bis wieder eine Angriffslücke erschien. Zu ihrem Glück hörte das Dauerfeuer recht schnell wieder auf und obwohl die drei Schüler bereits am Ende waren und schwermütig atmeten, schafften es die beiden Persona User ihre Helfer zu rufen.
„Kyusagi, bekämpfe das Vieh mit Wasser. Kiri!“, befahl die Blauhaarige der Häsin. Auch Kuro nutzte die Gelegenheit: „Wir werden nicht verlieren! Sarubi, setz Doro ein!“
Sofort griffen die beiden Persona mit einem Wasserstrahl und Unmengen Matsch und Erdbrocken an. Ihr Gegner ließ sich das allerdings nicht so leicht gefallen und startete den Gegenangriff mit einem Feuerstrahl. Die Attacken prallten aufeinander und drückten sich gegenseitig in die jeweilige Richtung. Einige lange Sekunden verstrichen, in denen alle gebannt auf eine Entscheidung warteten. Eigentlich sollte es eine Leichtigkeit sein gegen das Feuer anzukommen, denn sowohl Wasser als auch Erde waren effektiv. Trotzdem war es ein echt harter Kampf.
Plötzlich gab es eine Explosion von den immerzu aufeinanderprallenden Elementarangriffen und die Schüler wurden unsanft an die Wand zurückgeschleudert. Auch der Riesentiger hatte ein wenig was abbekommen und wich zurück.
„Ich glaube ich habe da was gesehen“, starrte Skye in die Ferne, „Schaltet die Kommunikationsfunktion eures Horo an. So können wir in Verbindung bleiben.“
Sofort rannte der Jüngste wie von der Tarantel gestochen los und verschwand noch hinter dem bösartigen Wesen.
Schmerzerfüllt rappelten sich die Angesprochenen wieder auf und versuchten erstmal zu realisieren was soeben passiert war.
„Manchmal verstehe ich ihn echt nicht“, hielt sich das Mädchen den schmerzenden Kopf, „Jeder andere hätte erst geschaut, ob es uns gutgeht.“ „Das musst du gerade sagen, du Hohlbirne“, wurde sie mal wieder von dem Schwarzhaarigen zurechtgestutzt, „Wenn du dir was in den Kopf gesetzt hast, dann vergisst du auch alles andere um dich herum.“
Da sie genau wusste, dass er recht hatte, gab sie keine Antwort und schmollte einfach.
In dieser Zeit aktivierten alle wie befohlen den Modus an ihrem Horo.
Akira nutzte den Moment allerdings auch, um nochmal nachzuhaken was Rin vorhin erzählen wollte: „An was hast du dich eigentlich vorhin erinnert? Hast du das Rätsel gelöst?“ „Hm? Welches Rätsel?“, stand die Blauhaarige mal wieder heftig auf dem Schlauch. „Der Brief mit dem wirren Zeug, du Nervensäge“, schnipste der Suzuki-Erbe mit dem Finger gegen ihre Stirn. „Au. Was soll das?!“, keifte sie ihn an. Der Rothaarige versuchte das schnellstmöglich zu unterbinden: „Leute, hört auf mit dem Kindergarten. Wir haben keine Zeit für sowas. Unser Gegner kann jeden Moment wieder angreifen! Also? Hast du es gelöst?“
Die beiden Streithähne zuckten reuevoll zusammen und Rin konnte ihm nur kleinlaut antworten: „Ich hab doch vorhin gesagt, dass mir das bekannt vorkommt. Der Widder und der Stier meine ich.“ „Und? Was hast du rausgefunden?“, musste der Mützenträger es dem Mädchen aus der Nase ziehen.
Erwartungsvoll wurde sie von den beiden jungen Männern gebannt angestarrt. Die Antwort würde das Rätsel um Leben und Tod sicherlich endlich lösen können.
„Na ja… also. Wisst ihr. Der Widder und der Stier“, machte sie eine zögerliche Pause, „sind Sternzeichen.“
Mit einem schiefen Grinsen schaute sie zu den beiden Kerlen herüber. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie gleich Schimpfe für ihre dumme Antwort kassieren würde. Allerdings wurde sie nur mit großen Augen angestarrt, was sie wirklich sehr verunsicherte: „H-He… Was ist los?“
Schlagartig wandte sich der Rothaarige zu seinem Kumpel: „Was genau stand nochmal in dem Brief?“ Dieser schien genauso geschockt und zitierte die Zeilen nochmal:
„Wenn der Bulle bald erscheint,
das Opfer nicht ist vereint,
der Bock des Schlachtfeldes abdankt,
der Weg deines Schicksals wankt.“
„Das ist die Deadline!“, kam es fassungslos aus den beiden Kumpels geschossen. „Wann genau?“, hakte Akira nach.
Kurz tippte der Schwarzhaarige auf der holografischen Tastatur des Horo herum. In dieser Zeit sah das Mädchen immer wieder sichtlich irritiert von einem zum anderen. Es war kaum zu übersehen, dass Rin gar nichts verstand. Hatte sie etwa widererwarten etwas Nützliches von sich gegeben? Konnten sie das Rätsel lösen? Aber was war die Antwort und wieso hatten die Jungs etwas entdeckt was sie nicht verstand?
„Oh Mist“, blickte Kuro auf, „Wir haben noch knapp 24 Stunden ehe der Wechsel stattfindet. Ansonsten werden wir Shiori nicht mehr retten können!“ „24 Stunden? Woher weißt du das?“, stammelte das Mädchen.
„Achtung!“, rief Kuro plötzlich. Blitzschnell reagierte sein Kumpel auf den Warnruf und warf sich schützend vor die Blauhaarige.
Ihr Gegner hatte sich wieder aufgerappelt und griff sie erneut mit Feuerbällen an.
Der Suzuki-Erbe schaffte es gerade noch so sich zur Seite zu werfen, um dem Geschoss auszuweichen. Die Schutzmauer, die er Sekunden später vor seinen Kameraden errichtete kam allerdings zu spät. Der Mützenträger wurde mit voller Wucht am Rücken getroffen und fiel Rin direkt in die Arme.
„Yoshida-kun!“, schrie das Mädchen panisch. Entkräftet kam es aus ihm: „Geht es dir gut?“ „Ja, du Idiot musstest ja auch unbedingt dazwischen springen“, hatte sie bereits Tränen in den Augen, „Halte durch, okay? Ich helfe dir irgendwie!“ „Weine nicht. Solange es dir gutgeht, bin ich froh“, wischte er ihr mit zittriger Hand eine Träne aus dem Gesicht.
Kurz stockte Rin, kam dann aber auf eine Idee und kramte aus der Tasche des Rothaarigen eine der Energydrinks, die er mitgebracht hatte.
„Hier, Akira. Trink das“, hielt sie ihm eine schwarze Dose mit roter Aufschrift entgegen. Vorsichtig nippte er daran und wurde erwartungsvoll angesehen: „Wirkt es? Obwohl es von der anderen Seite ist?“ Noch einmal nahm er einen Schluck und nickte: „Ich denke schon. Aber nicht so schnell wie letztes Mal.“ „Letztes Mal warst du ja auch nicht so schwer verletzt!“, blickte die Blauhaarige besorgt drein.
„Ich will euer Geturtel ja nur ungern unterbrechen“, ertönte die Stimme des Schwarzhaarigen durchs Horo, „Aber ich brauch hier vorne mal etwas Unterstützung!“ „Alleine zu schwach?“, amüsierte sich das Mädchen prächtig, bekam aber keine Antwort mehr.
Sofort stand sie auf und wollte zu ihrem Kameraden eilen, wurde aber von Akira am Handgelenk festgehalten: „Versprich mir vorsichtig zu sein. Ich will dich nicht verlieren, Rin-chan.“
Erschrocken sah sie ihren geschwächten Teamkollegen an und wurde knallrot. War das erneut eine Art Liebeserklärung? Und hatte er sie soeben beim Vornamen genannt? Sie musste sich verhört haben. Oder?
„O-Okay“, brachte sie unsicher heraus und stürmte los.
Auf halbem Weg ertönte Skyes Stimme durch das Drahtlosgerät: „Ich hab Amika gefunden. Sie liegt bewusstlos hier hinten.“ „Was wirklich?!“, konnte es das Mädchen kaum fassen, „Ich komme zu euch!“ „Ey! Renn nicht kopflos herum!“, wurde sie von Kuro zurechtgestutzt. „Tu ich doch gar nicht!“, protestierte sie direkt.
Im selben Moment ging plötzlich direkt vor ihr eine große Feuerkugel zu Boden und Rin stoppte schlagartig.
„Hab ich’s nicht gesagt?“, murrte der Suzuki-Erbe. Wütend kam direkt die Retourkutsche: „Klappe!“ „Was willst du da hinten überhaupt?! Hier spielt die Musik. Skye passt schon auf sie auf“, wich der Schwarzhaarige einer Attacke aus, „Abgesehen davon ist das eh nicht ihr echter Körper!“ „Echt oder nicht, sie braucht mich! Außerdem glaube ich, dass wir sie auch brauchen“, versuchte die Schülerin ihren Standpunkt zu vertreten. Ihr Gesprächspartner verzog nur das Gesicht: „Wozu sollen wir sie brauchen? Sie hat keine Persona, um das Ding zu besiegen.“ „Ich denke Rin hat nicht ganz unrecht“, mischte sich der Kleinste ein, „Dieser Tiger ist ein Shadow, der aus ihren Gefühlen und Gedanken entsprungen ist. Theoretisch kann sie ihn kontrollieren. Denke ich jedenfalls.“ „Na von mir aus“, schnaubte der Erdelementar, „Ich lenk das Monster ab und du schleichst an ihm vorbei.“ „Geht klar“, streckte das Mädchen den Daumen nach oben.
Gesagt getan huschte die Oberschülerin geschickt an dem Tierwesen vorbei. Zwar verfolgten seine Augen die Blauhaarige, doch mit einem Treffer Sarubis war seine Aufmerksamkeit wieder auf Kuro gelenkt. Erneut startete es einen Feuerangriff und der junge Mann hüpfte wieder von einem Bein auf das andere. Mittlerweile war er der einzige Übrige, welcher sich dem Monster stellte. Das machte es für ihn um einiges schwerer. Zwar musste er sich keine Sorgen um seine Kameraden machen, doch je mehr Zeit verstrich, umso höher war die Wahrscheinlichkeit, dass Akiras Schutzwand nachgab oder er selbst kampfunfähig ging. Das wäre das Ende.
Unterdessen kam Rin endlich bei ihrer besten Freundin an, welche von Skye bewacht wurde.
„Skye! Wie geht es ihr?“, richtete sie die Frage an den Jüngsten. Dieser schüttelte nur den Kopf: „Sie ist noch immer bewusstlos. Aber ich denke es geht ihr gut.“
Vorsichtig rüttelte die Blauhaarige an der Regungslosen und redete unaufhörlich auf sie ein. Es verstrichen ein paar Minuten, bis die Brünette plötzlich eine Reaktion zeigte. Ihre Finger bewegten sich zaghaft und sie verzog ihr Gesicht. Langsam kam das Mädchen endlich wieder zu sich.
Mit stechend gelben Augen sah Amika in die strahlend blauen ihrer Freundin.
„Oh nein“, zog die Blauhaarige erschrocken die Luft ein, „Sie ist noch immer nicht sie selbst.“
Noch etwas gerädert rappelte sich die soeben Erwachte endlich auf und sah sich irritiert um: „Wo bin ich? Und was ist das für ein Ding?“
Zum Erstaunen aller war die Stimme des Mädchens normal. Generell schien sie bis auf die Augenfarbe wieder die Alte zu sein. Zudem zeigte sie große Angst vor der momentanen Situation und dem erschreckenden Tiger.
„Das hier ist eine Art Dungeon, der durch deine wahren Gefühle entstanden ist“, erklärte Skye ruhig, „Denke ich jedenfalls.“ „Was soll das heißen?“, zitterte das Mädchen am ganzen Leib.
Plötzlich drehte sich das schwarze Wesen zur Brünetten herum und sprach mit verzerrter Stimme zu ihr: „Wie ich sehe bist du endlich aufgewacht. Das ist gut, dann kannst du mir ja nun noch etwas mehr deiner Macht verleihen, um diese lästigen Schmeißfliegen loszuwerden.“ „Wer bist du?“, bebte die ängstliche Stimme Amikas. „Ich bin du“, machte der Tiger eine kurze Pause, „Und du bist ich.“ Verstört blickte sie in die blutroten Augen ihres Gegenübers: „Als ob ich so ein hässliches Ding wäre. Niemals!“
Ihre ablehnenden Worte lösten im Zentrum des Gegners eine Druckwelle aus, welche alle Gruppenmitglieder nach hinten stieß. Außerdem schien das lästige Vieh an Energie gewonnen zu haben.
„Verdammt!“, erschallte Kuros Stimme durch das Horo, „Meine Angriffe prallen einfach ab! Was ist da los bei euch?!“
Eine Antwort bekam er nie, denn ihr Gegner begann nämlich soeben wieder damit Feuerbälle zu spucken. Dieses Mal waren sie aber um einiges größer und heißer.
„Kyusagi!“, rief Rin nach ihrer Persona, „Halte uns mit Kiri diese Feuergeschosse vom Leib.“
Während die Häsin tat wie ihr befohlen, kniete sich die Blauhaarige vor ihrer besten Freundin und Skye und umarmte beide schützend. Dem Kampf hatte sie den Rücken zugewandt und hoffte, dass Kysuagi es schaffte sie alle zu beschützen. Sie selbst war sich dabei gar nicht mal so wichtig. Einzig die Menschen, an denen ihr etwas lag, wollte sie vor Schaden bewahren.
Sekunden später kam dann auch endlich der Suzuki-Erbe angerannt und forderte seine Persona zur Mithilfe auf. Er selbst stürmte auf die Schutzsuchenden zu: „Bist du bescheuert du Idiotin? Was drehst du dem Kampf den Rücken zu?!“
Noch ehe er sie erreicht hatte, kam jedoch plötzlich eines der Feuergeschosse durch und schlug direkt auf dem Rücken des Mädchens ein. Diese sackte daraufhin in sich zusammen und ging zu Boden. Erstaunlicherweise war ihr blauer Umhang völlig unversehrt. Trotz allem hatte ihr der Angriff stark zugesetzt.
„Scheiße!“, fluchte der Schwarzhaarige vor sich hin, „Ich bin schon wieder zu spät.“ „Rinacchi!“, stieß Amika besorgt aus und sah sofort nach ihrer am Boden liegenden besten Freundin. Auch der Kleinste schien sehr besorgt und wollte wissen, ob es ihr gutging.
Als Kuro endlich angekommen war, schlitterte er durch seinen Schwung noch ein paar Centimeter über den Gesteinsboden, während er schon in die Hocke ging und seine Handflächen konzentriert auf diesen unter sich presste. Es formte sich eine kleine mauerartige Erhöhung vor der am Boden Liegenden, ehe er stürmisch näherkam und vor ihr kniete.
„Geht es dir gut? Kannst du aufstehen?“, versuchte er dem Mädchen zu helfen. Diese rappelte sich nur schwermütig auf: „Geht so.“ „Komischerweise hast du keine Verbrennungen davongetragen. Ob das an dem Umhang und deinem Wasserelement liegt?“, war der Suzuki-Erbe zwar erleichtert, aber auch verwirrt, „Aber der Zusammenprall war heftig. Lass Kyusagi dich heilen, bevor du weißt schon was passiert.“
Kurz musste sie nachdenken was er meinte, bis es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. Sie war erschöpft genug, dass ihr eigenartiger Nebeneffekt jeden Moment ihr Geschlecht wechseln könnte. Aufgrund dessen, gab sie ihrer Persona den Befehl „Dia“, welcher sie im Handumdrehen mit Energie betankte. Zwar war es noch lange nicht genug, aber wenigstens konnte sie sich wieder auf den Beinen halten.
„Ha, du bist echt armselig, kleine Amika“, ertönte erneut die verzerrte Stimme ihres Gegners, „Wieso spielst du Sorgen um jemanden vor, den du verachtest? Immerhin hasst du sie doch. Deine angeblich beste Freundin. Sie hat dich einfach im Stich gelassen und ist abgehauen.“ „Das stimmt doch gar nicht!“, sprang die Brünette auf und protestierte lautstark gegen das Monster, „Ich würde sie niemals hassen!“
Erneut wurde der Tiger mit Kraft betankt und es erschienen sogar zwei weitere Shadows.
„Das sind zwei Pixies! Wo kommen die denn her?“, kam Rin hinter der Mauer hervor. „Wir müssen sie aufhalten! Sie sind vom Elektro Element. Kuro!“, rief der Jüngste. Sofort nahm Angesprochener es in die Hand: „Verstanden!“
Da er das Erdelement besaß, welches effektiv dagegen war, hatte er sowieso keine andere Wahl, als sich den Pixies zu stellen. Er wusste ganz genau, dass Rin gegen die beiden Schwierigkeiten haben würde.
„Oh und wie das stimmt“, amüsierte sich das Geschöpf über die Brünette, „Aber das ist nicht der einzige Grund. Außerdem bist du total eifersüchtig auf sie. Dein Schwarm hat nämlich nur Augen für sie!“ „Nein! Ich bin doch nicht eifersüchtig! Das ist komplett an den Haaren herbeigezogen!“, gab das Mädchen nicht nach.
Wieder manifestierten sich weitere Shadows und umzingelten die Gruppe.
„Ami, du musst aufhören dem Ding zu widersprechen! Das macht alles nur schlimmer!“, packte die Blauhaarige das Mädchen an den Schultern. Diese weinte mittlerweile schon und war völlig verzweifelt: „Aber das stimmt doch gar nicht was er da sagt.“
Immer mehr neue Shadows füllten den Raum. Sie waren kaum noch zählbar.
„Vielleicht übertreibt er, aber deine wahren Gefühle kannst du nicht einfach ignorieren“, sah Rin ihr mit ernstem Blick ins Gesicht, „Mach dir keine Sorgen. Ich kann dich verstehen, denn ich weiß jetzt, dass du dich einsam gefühlt hast. Und es tut mir wirklich leid, dass ich nicht für dich da war wie es sich gehörte.“
Schluchzend vor Erleichterung fiel Amika ihr um den Hals. Sie brachte kein Wort heraus, aber Rin wusste ganz genau, dass ihr Herz leichter wurde. Denn die neu dazugekommenen Shadows minimierten sich wieder.
„Hey was soll das?! Nein!“, fluchte der Tiger, welcher an Kraft verlor.
Die Truppe atmete erleichtert auf. Endlich hatte das Mädchen es eingesehen und konnte ihren Gegner nicht mehr bestärken. Das war die Chance für einen Gegenangriff, zu welchem sich Kuro sofort bereitmachte.
Allerdings ertönte noch einmal die verzerrte Stimme der schwarzen Gestalt: „Aber trotzdem hast du vor Zorn deine eigene Schwester ermordet! Wahahahar!“
Erschrocken zuckte die Brünette zusammen, konnte das jedoch nicht auf sich sitzen lassen: „Ich habe Kaori nicht umgebracht! Das war ein Unfall! Das hat selbst die Polizei gesagt!“ „Nein, nicht!“, stieß Skye panisch aus, doch es war zu spät.
Seine ganze verloren Kraft, kehrte in vielfacher Ausführung zu dem Tiger zurück. Und mit dieser auch unzählige Shadows, die sich zum Kampf bereitmachten. Darunter waren nicht nur Pixies sondern allerlei verschiedene Arten. Der Kürbiskopf mit seiner Laterne tauchte wieder auf. Genauso wie der Reiter mit seinem Pferd. Zum ersten Mal bekamen sie auch neue Gesichter zu sehen, denn unter der Shadowarmee befanden sich noch eine weitere Elfensorte mit blonden Zöpfen und rosagelben Schmetterlingsflügeln. Zudem konnten sie noch eine weitere Spezies entdecken, welche in einem goldgelben Topf saß und nur einen türkisenen Kopf mit leuchtend roten Augen herausstreckte.
„Das sind Pixie, Jack O’Lantern, Berith und die neue Elfe heißt Hua Po. Der Gnom ist Agathion!“, gab Skye seine Informationen bekannt und schmiedete direkt einen Plan, „Rin, übernimm du die Feuerfront und bekämpfe Jack O’Lantern, Berith und Huo Po. Die Elektroangreifer Agathion und Pixie gehören dir, Kuro!“ „Alles klar“, kam es von beiden wie aus einem Munde und sie stürmten los.
Rücken an Rücken versuchten sie den mit Shadows ausgefüllten Raum zu säubern.
Skye versuchte derweil den Rotschopf zu erreichen: „Akira! Wie ist die Lage bei dir? Geht’s dir gut?!“ „Geht so!“, kam es nur zurück. „Wenn du es schaffst, dann versuch zu uns auf die andere Seite rüberzukommen. Da bist du sicherer“, versuchte der Jüngste weiter zu koordinieren. „Das wird nicht funktionieren!“, ertönte erneut seine Stimme, „Ich bin genauso umzingelt wie ihr es vermutlich seid.“
Fluchend schlug Akira mit seinem Baseballschläger wie wild um sich, um den ganzen Shadows mit dem Leben zu entgehen. Das war allerdings schwieriger als gedacht. Er hatte noch immer keine Persona, geschweige denn ein übermächtiges Element, mit welchem er mal eben um sich schlagen konnte. Eigentlich hatte er rein gar nichts was irgendwie von Nutzen war. Stattdessen war er sogar eher eine Last für seine Kameraden, die sich seinetwegen sorgten. Das machte ihn wütend und traurig zugleich.
„Kann es sein, dass das immer mehr werden?“, atmete Rin schwer. Auch der Schwarzhaarige war schon völlig am Ende: „Mir kommt es auch so vor, als würden für jede besiegte Kreatur drei neue auftauchen.“
Schweißperlen rannen ihnen die Stirn herunter. Nicht nur, dass sie komplett am Ende waren, nein, denn der Raum war noch immer schlimmer als eine Sauna. Und jetzt, da noch mehr mit Feuer herumgewirbelt wurde, erschien es noch viel, viel heißer.
Für den Moment hatten sie aber noch Glück, dass ihr eigentlicher Gegner stillstand und amüsiert dem Schauspiel zusah.
„Ach wie lustig“, kicherte der Tiger hämisch, „Und das nur, weil ich dein Schwesterlein erwähnt hab. Aber eigentlich ja auch verständlich. Deine große Schwester war ja auch die perfekte Tochter. Deine Eltern haben sie so sehr geliebt, weil sie einfach alles konnte. Und dich haben sie links liegen gelassen, weil du leider das missratene Kind geworden bist, das nicht halb so schlau ist. Ich weiß genau wie sehr du deine Mutter für ihre Vergleiche hasst. Und dein Vater ist nicht besser, weil er immer nur schweigend zugesehen hatte. Gibs doch zu, am liebsten hättest du die beiden auch tot gesehen! Wahahahar!“
Schweigend ballte Amika ihre Fäuste und sah unter sich. Sie hatte schon wieder Tränen in den Augen, brachte aber dieses Mal kein Wort heraus. Skye welcher neben ihr stand, versuchte an sie heranzukommen, um den schrecklichen Kampf endlich zu beenden: „Du darfst dich nicht verschließen, hörst du? Jeder hat seine eigenen dunklen Geheimnisse und Gefühle. Steh dazu, dann wird alles gut.“
Fertig mit der Welt sackte das Mädchen auf die Knie und begann fürchterlich zu weinen. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und die Arme baumeln lassen, während sie Richtung Decke sah. Auch, wenn sie durch die ganzen Tränen vermutlich nicht viel erkennen konnte.
„Er hat recht“, schluchzte sie und ihre Stimme bebte: „Ich hasse meine Eltern dafür, dass sie mich immer mit Kaori verglichen haben. Ich konnte es nie leiden, dass sie sie immer bevorzugten und für ach so perfekt hielten. Sie war gar nicht perfekt! Sie war richtig fies, aber unsere Eltern haben das nicht kapiert. Damals wusste sie ganz genau, dass ich auf den Jungen stehe und trotzdem hat sie ihn mir weggenommen.“
Durch ihre Worte schrumpfte die Armee der Shadows beachtlich und auch der große schwarze Tiger begann zu schrumpfen: „Nein! Das kann nicht sein!“
Daraufhin stoppten ihre Tränen und sie stützte sich mit beiden Armen auf dem Boden vor sich ab. Mit ernster Miene schrie Amika in Richtung des Geschöpfes: „Ja! Sollen sie doch alle verrecken!“
Ihre Worte schienen der Gnadenstoß für ihren Gegner gewesen zu sein, denn er schrumpfte in Windeseile auf Plüschtierform. Auch die anderen Shadows verpufften nach und nach alle in leuchtendem Staub.
Alle Augen waren nun auf die Brünette gerichtet, welche selbstsicher auf den Minitiger zugelaufen kam. Vorsichtig hob sie ihn hoch und hielt ihn sanft im Arm: „Daijoubu. Es wird schon alles gut werden.“
Daraufhin verpuffte auch das kleine schwarze Tierchen zu leuchtenden Partikeln, welche von Amikas Rubin aufgesaugt wurden. Mit einem fröhlichen Lächeln im Gesicht löste sich dann schließlich auch das Mädchen langsam auf.
Um sie herum konnte Rin einen blauen Schmetterling fliegen sehen, welcher bedeutete, dass sie erneut einen neuen Social Link geknüpft hatte. Mit ein paar Handbewegungen auf ihrem Horo zeigte sich auch schnell, welche Arcana ihrer besten Freundin zugeordnet war. Es war „VI. The Lovers“, die Liebenden Arcana, welche ihrer Meinung nach wirklich gut zu Amika passte. Abgesehen davon schien ihr eigener Link auch um eins aufgestiegen zu sein. Eigenartig.
„Wir haben es endlich geschafft“, gesellte sich Akira zu den beiden Persona Usern auf den Boden. Auch Skye gesellte sich zu ihnen: „Das war ein harter Kampf, aber ihr habt euch gut geschlagen.“ „Das haben wir aber auch deiner Koordination zu verdanken“, grinste der Rothaarige den Jüngsten freudig an. „Ich kapier immer noch nicht wie Shiori an zwei Orten gleichzeitig sein kann“, wechselte der Suzuki-Erbe einfach das Thema. „Mich wundert eigentlich gar nichts mehr“, öffnete der Mützenträger erneut eine schwarz-rote Dose Monster Energy.
Auch die anderen bedienten sich aus seinem Rucksack und Rin erhaschte eine schwarze Dose mit blauem Aufdruck, während Kuro eine mit grünem Aufdruck nahm. Einzig Skye angelte sich eine komplett andere Sorte: Monster Vanilla Espresso.
„Ich hab noch nie ein Kind Kaffee trinken sehen. Das schmeckt doch gar nicht“, sah sie den Kleinen kritisch an. „Ich find es lecker“, zuckte er zur Antwort nur mit den Achseln.
Noch einen kurzen Moment tankten die vier wieder Kraft und verdauten das vergangene Ereignis schweigend, ehe die Blauhaarige sich wieder zu Wort meldete: „Was war das jetzt eigentlich vorhin? Habt ihr jetzt das Rätsel des Briefes gelöst oder wie? Wie kamt ihr darauf, dass wir nur noch 24 Stunden zur Rettung übrig hatten?“
Während die Oberschülerin voller Ernsthaftigkeit eine Antwort erwartete, lachten die übrigen erstmal über ihre Begriffsstutzigkeit.
„Na du hast doch sogar den entscheidenden Hinweis gegeben. Bist du dumm?“, schnipste Kuro ihr gegen die Stirn. „Aua! Warum machst du das ständig?! Hör auf damit!“, hielt sie sich die schmerzende Stelle. „Die vier Zeilen sollten uns eigentlich nur mitteilen, wie viel Zeit uns noch bleibt, um Shiori-chan zu retten, verstehst du?“, versuchte Akira ihr die Augen zu öffnen. Die Antwort blieb jedoch gleich: „Nein. Versteh ich nicht.“ Selbst Skye wurde es langsam zu bunt und er mischte mit: „Überleg doch mal. In der ersten Zeile stand: ‚Wenn der Bulle bald erscheint‘. Das heißt so viel wie, wenn das Sternzeichen Stier anfängt.“ „‘Das Opfer nicht ist vereint‘ bedeute wie gehabt, wenn wir bis dahin das Opfer nicht gerettet haben“, führte Akira die Erklärung fort. „In der dritten Zeile ist dann die Rede vom Sternzeichen Widder, was dann vorüber ist. Also ‚der Bock des Schlachtfeldes abdankt‘“, erklärte der Suzuki-Erbe weiter, „Was genau ‚der Weg deines Schicksals wankt‘ bedeuten soll weiß ich allerdings selbst nicht genau. Das ist wohl eher darauf zurückzuführen, dass du dann durch den Verlust deiner besten Freundin einen Schicksalsschlag erlitten hättest.“ „Ach so“, erhellte sich Rins Gesichtsausdruck, „Also hätte das Sternzeichen gewechselt, hätten wir Ami verloren? Das war ja dann wirklich in letzter Sekunde.“ „Wow, sie hats endlich kapiert“, klatschte Kuro unbeeindruckt in die Hände. „Ach, halt die Klappe“, maulte sie ihn daraufhin an.
Noch ein wenig saß die Gruppe auf dem kalten Boden, ehe Skye sie zum Anfang zurückteleportierte und sie den Dungeon verließen, um wieder nach Hause zu gehen.
Natürlich verwandelte sich Rin auf halbem Weg durchs Portal mal wieder ins andere Geschlecht und musste schnellstens verschwinden. Eigentlich wollte sie unbedingt noch ins Krankenhaus, aber das musste wohl bis zum Morgen warten.
„Warum hat sie es eigentlich immer so eilig?“, kapierte Akira gar nichts. „Wer weiß“, grinste der Schwarzhaarige nur, während er zusah, wie Rin in der Dunkelheit zusammen mit Skye in Vogelform verschwand.
„Ich versteh das nicht“, jammerte sie im Rennen ihren fliegenden Begleiter voll, „Ich hab doch extra nochmal Energie aufgetankt.“